Sie befand sich noch in stationärer Behandlung, als sie sich der Einsamkeit bewusst wurde, in der sie sich bald befinden
würde. Zunächst fühlte sie sich in ihrer kleinen Wohnung durchaus wohl. Abgesehen vom Treppenhaus, dass eine Renovierung dringend nötig hatte, und dem Zustand von Dachboden
und Kellerräumen, reichte ihr der Platz fürs Erste aus. Ihr Geldbeutel erlaubte ihr keine riesigen Ausgaben für Miete und Nebenkosten, geschweige für teure Möbel. Ein Auto kam
vorläufig nicht in Frage, sie machte alle weiteren Wege mit öffentlichen Verkehrsmitteln.
Zum Einkaufen brauchte sie nur zur Tür hinausgehen, ein paar
Meter weiter lagen schon die Lebensmittelläden, sowie Bäckereien und diverse Schnellimbissbuden. Noch nie in ihrem Leben hatte sie so deutlich gefühlt, wie es ist, wenn man
seinen Alltag allein verbringen musste.
An einem der Wochenenden, an denen sie zu Hause übernachten durfte, saß sie auf dem Sofa und grübelte darüber
nach, wie wohl ihr weiteres Leben aussehen würde. Bei dem Gedanken, wie leer alles auf einmal war, fiel sie wieder in ein tiefes Loch und ihr schossen die Tränen in die
Augen.
Nach 34 Ehejahren fehlte ihr jetzt der Partner, mit dem sie vieles unternehmen konnte und der ihr in schwierigen Situationen Halt gab. Natürlich
war sie sich bei ihrem Auszug darüber im Klaren gewesen, dass sie sich mit vielen Veränderungen auseinander setzen musste, jedoch hatte sie sich in ihrer Verliebtheit die
Zukunft in schillernden Farben ausgemalt, voller romantischer Momente. Manchmal dachte sie an die Flugzeuge im Bauch, die sie nach ewigen Zeiten endlich wieder gespürt hatte
und an die Achterbahnfahrten der Gefühle, die sie noch aus dem Teenageralter kannte.
Doch alles war anders gekommen, ihre schönen Illusionen waren wie
Seifenblasen zerplatzt. Er hatte ihr nie falsche Hoffnungen gemacht, und trotz alledem fühlte sie sich magisch von ihm angezogen.
So sehr sie am Anfang
davon überzeugt war, dass sie alle Hürden ohne jede Unterstützung meistern würde, umso ernüchternder war die Realität für sie geworden. Nach reiflicher Überlegung und in
Anbetracht ihrer unberechenbaren Krankheit wollte sie versuchen, noch einmal in ihr altes Leben zurückzukehren. Blieb nur zu hoffen, dass der Platz an der Seite ihres Mannes,
den sie vor Monaten noch eingenommen hatte, nicht schon von einer anderen Person besetzt war.
Mit gemischten Gefühlen nahm sie das Telefon zur Hand und
wählte mit klopfendem Herzen seine Nummer.