Einige Monate in ihrem Leben vergingen ohne Symptome, die sie zum Beginn ihrer Krankheit so sehr in Angst versetzten und
sie vollkommen veränderten. Warum es allerdings zu einem so ausgeprägten Rückfall gekommen war, konnte sie nicht beantworten. Vermutlich war aber wohl die Auseinander- setzung
mit den vergangenen Erlebnissen oder das eigenmächtige Absetzen der Medikamente der Grund, der Realität und Phantasie einmal mehr zu einer Einheit verschmelzen
ließ.
Völlig überraschend und ohne Vorwarnung tauchte er an einem Novemberabend wieder auf. Sie war schockiert, als er zum zweiten Mal versuchte, sich
in ihren Gedanken und ihren Gefühlen festzusetzen. Es war zwecklos, sich etwas vorzumachen, ihr Empfinden war immer noch dasselbe wie in den Monaten zuvor, sie hatte nur
jegliche Erinnerung an die Zeit erfolgreich verdrängt. Doch etwas war anders, als bei seinem ersten Erscheinen, er arbeitete jetzt vorwiegend allein und mit ungewöhnlichen
Mitteln, um ihre Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.
Zunächst begann er damit, sich in die Funktionen ihres PC einzumischen. Wieder hielt sie seine
Existenz für real und ihr Zustand verschlechterte sich immens. Wenn sie in Niedergeschlagenheit verharrte, führte es dazu, dass sie mit einem extremen Kältegefühl aus ihrer
Starre heraus gezwungen wurde. Dieses Gefühl der Kälte konnte nur von einer Klimaanlage herrühren, die in der gesamten Wohnung installiert war. Er musste das Gerät sehr gut
versteckt haben, denn sie konnte keine Vorrichtung für solch eine Anlage sehen.
Zweifellos wollte er ihr damit aus ihren in kurzen Abständen
wiederkehrenden Tiefpunkten heraushelfen. Tatsächlich gelang es ihm, diese mentalen Kämpfe jedes Mal zu gewinnen. Eine weitere Form der Therapie, so konnte man es wohl
bezeichnen, war ein durch nächtlichen Lärm erzeugter Schlafentzug, dem ein plötzliches Herzrasen vorrausging und auf das sie mit panischer Angst
reagierte.
In den Morgenstunden wurde sie durch langanhaltende Duschgeräusche wach gehalten, und ungewöhnlich lautes Getrampel im Treppenhaus sorgte für
weitere Strapazen für ihre angegriffenen Nerven.
Vieles sprach dafür, dass er sich in ihrer Nähe aufhielt. Messer, Gabel und Löffel wiesen in die
Richtung, wo sie ihn finden würde. Mehrmals am Tag brachte er sie durcheinander, indem er das Besteck auf dem Esstisch drehte. Mal zeigte es auf die Nachbarwohnung, mal zur
Straße hinaus.
Ihre Gedanken wirbelten ständig herum. Wenn sie durch den Hausflur lief, wurden die blauen Putzlappen, die vor den Wohnungstüren lagen,
zu Hinweisen, wo er sich gerade befand. Mit der Zeit lernte sie, den Zwängen, denen sie ausgeliefert war, nicht nachzugeben, obwohl er es dauernd von ihr erwartete. Sie
brauchte nur den Schlüssel mit dem Anhänger, der den Namen Fox trug, vom Bord nehmen und sich den Zugang zu seinem Versteck verschaffen. Mehr als einmal stand sie vor der Tür
der Nachbarn, um zu ihm zu gelangen. Doch irgendetwas hielt sie von dem letzten Schritt ab, und sie kehrte verstört in ihre Wohnung zurück. Morgens untersuchte sie das
Badezimmer auf geheime Türen, suchte die Fliesen nach verräterischen Spuren ab, ohne jedoch irgendein Indiz für Geheimgänge zu finden.
Jede Anstrengung,
sich seinem Einfluss auf ihre Phantasie und ihren Willen endlich ganz zu entziehen, scheiterte spätestens nach einer Antwort, die sie in Musik und Ereignissen in ihrer Umwelt
hinein interpretierte. Seine ständige Präsenz führten bei ihr zu einem immerwährenden Kampf zwischen Zweifel und Überzeugung, Traurigkeit und Wut, aufgestauter Liebe, die sie
zu geben bereit war und logischer Vernunft, die seine Existenz als reine Einbildung erscheinen ließ.
Absurder Weise faszinierte sie immer wieder seine
Fähigkeit, auf ihre Stimmungslagen und auf ihr tiefes Abtauchen in die Depression und Unglaube zu reagieren. Die vielen Nächte, die sie miteinander verbrachten und die von
gegenseitigem Gedankenaustausch geprägt waren, brachten ihr Klarheit darüber, dass sie nicht loslassen konnte und die Ereignisse sie tiefer getroffen hatten, als es zunächst
schien.
So entstanden unzählige kleine und längere Gespräche auf rein geistiger Ebene, die ihre an der Seele entstandenen Wunden auf eine ungewöhnliche
Art und Weise für eine kurze Zeit verschlossen und den Schmerz ein wenig linderten.
Ihre Seelenverwandtschaft ließ sie aufeinander eingehen, wie es im
realen Leben nur selten der Fall war. Das Gefühl, auch ihm in mancher Beziehung eine Hilfe zu sein, gab ihr ein wenig von ihrem verlorenen Selbstvertrauen zurück und sie
musste zugeben, dass es Momente gab, in denen sie eine starke erotische und emotionale Spannung spürte.
In der Phantasie besaß sie die Freiheit, diese
Momente voll auszukosten und Raum und Zeit zu vergessen, sie verlieh ihr sogar die Fähigkeit, körperliche Nähe zu empfinden. Man konnte ihn durchaus als besitzergreifend und
liebeshungrig bezeichnen, und er legte die Schlauheit eines Fuchses an den Tag, damit sich ihre Gedanken nur um ihn drehten.
So sehr sein Bemühen um sie
ihr auch schmeichelte, wollte sie doch den Weg in der Realität weitergehen, denn diesen hatte sie nach ihrer Entlassung eingeschlagen und würde sich auch davon nicht mehr
abbringen lassen.
Sie war zu ihrem Mann zurückgekehrt und beide hatten beschlossen, ihr restliches Leben miteinander zu verbringen. Trotz all der Härte
dieser Wochen musste sie doch schmunzeln, wenn sie daran dachte, dass ihr Kampf gegen seinen Einfluss auf sie aussichtslos sein könnte und vielleicht nur die Möglichkeit einer
Dreierbeziehung bestand.
Ihre Hoffnung nach Normalität wollte sie jedoch nicht aufgeben, trotz seiner erneuten Eingriffe in ihr Denken und
Handeln.