Henrike bezahlte den Taxifahrer, brachte eine Flasche Weißwein mit ins Esszimmer und schüttete ihnen etwas in die Gläser,
die bereits auf dem Tisch standen. „Nun erzähl doch erst einmal, was passiert ist", forderte Jan sie auf. Stockend begann sie ihre Schilderung. Sie sprach von ihrem Auftrag
und erwähnte auch die Ereignisse, die ihr wie ein abgekartertes Spiel erschienen waren. Auch Dinge, von denen Jan und Henrike schon längst erfahren haben mussten, ließ sie
nicht aus. Sie hörten ihr zu, sagten aber erst einmal kein Wort. Dass sie sich in ihre Lage versetzen konnten, glaubte sie nicht und bestimmt verstanden sie auch nichts von
ihren Gefühlen während dieser Zeit.
Jan war sehr ernst:„Du bleibst jetzt erst einmal hier und verbringst die Ostertage bei uns. Wir haben schon länger
den Verdacht, dass irgendetwas mit dir nicht stimmt. Weißt du was, wir rufen Svenja an und ihr Zwei fahrt mit nach Gütersloh zu Erik. Und noch was, du schreibst ihnen nicht
mehr, OK?" Sie war einverstanden, und das Schreiben hatte sich sowieso erledigt, denn sie beobachteten doch jeden ihrer Schritte. Aber was sollte mit ihr nicht stimmen? Dass
sie ihn hier im Haus vermutete, verschwieg sie ihnen besser und dass Jan und Henrike ihren Status nicht preis gaben, weil sie nicht auffliegen durften, das hatte sogar sie
begriffen.
Doch jetzt wurde ihr auch klar, warum die beiden so oft am Wochenende unterwegs waren, obwohl Jan im normalen Leben doch mehr als genug
arbeitete. Und dann gab es auch noch Erik, Jans Sohn. Ob er mit von der Partie war? Sie versuchte, zu kombinieren. Die Umzüge von Erik in den letzten Jahren kamen ihr seltsam
vor und zuletzt ließ er sich in Gütersloh nieder.
Von Ihren Überlegungen sagte sie ihnen nichts, und auch nicht davon, dass die Autos, die sie schon an
den Tagen zuvor begleiteten und vor und hinter dem Taxi hergefahren waren, nun vor dem Haus parkten und sich in der näheren Umgebung verteilten.
Svenja,
ihre Tochter, hatte eigentlich nicht vor, über Ostern zu ihr zu kommen, aber als Jan ihr von den Vorfällen erzählte, willigte sie ohne zu zögern ein. Sie würde am Sonntag
kommen, bei ihrem Vater übernachten und am nächsten Feiertag mit ihnen und der Oma zu Erik fahren. Sie konnte ein wenig Abwechslung gebrauchen, denn ihre Arbeit forderte ihre
ganze Konzentration und die derzeitigen Familienvehältnisse machten die Situation nicht leichter.
Aus ihren Gedanken an Svenja wurde sie brutal
herausgerissen, weil sie laut und deutlich eine Vogelstimme hörte, als Jan die Terrassentür für einen Moment öffnete. Eine ungewöhnliche Zeit für einen Vogel so kurz vor
Mitternacht, dachte sich. Dann dämmerte es ihr. Sie hatten sich im Garten verteilt und versuchten, sie wieder herauszulocken. Doch dieses Mal hatte sie Schutz und sie konnten
ihr nichts anhaben.
Trotzdem krochen wieder Angst und Panik in ihr hoch, sodass ihr speiübel wurde und sie zu zittern begann. Als sie sich im Bad für
die Nacht fertig machte, suchte sie zuerst nach der Kamera, die ganz bestimmt dort installiert war, jedoch ohne Erfolg. Natürlich, warum fiel es ihr erst jetzt ein, Jan war
Ingenieur und kannte sich mit der Technik hervorragend aus. Er hat sie in der Dusche und am Spiegel angebracht, genau wie bei ihr zu Hause, als er den Spiegelschrank im Bad an
der Wand befestigte. Die Kamera in ihrer Lampe im Wohnzimmer war ebenfalls sein Werk, als er die Glühbirnen einschraubte.
Sie konnte es nicht ändern,
legte sich hin, deckte sich bis über den Kopf zu, und versuchte einzuschlafen. Es begann ungefähr eine Stunde später mit lauten Motorengeräuschen, sie fuhren die Straße hinauf
und wieder runter. Eigentlich dachte sie, er würde zu ihr heraufkommen und rechnete damit, dass jeden Moment die Tür aufging. Stattdessen standen jetzt einige Leute vor ihrem
Fenster, unterhielten sich lautstark über sie, rappelten an dem Rollo und lachten höhnisch dabei. Sie ertrug es nicht mehr, verkroch sich in den letzten Winkel des Bettes und
fragte sich, wann das endlich ein Ende haben würde.
Als nach einiger Zeit Ruhe einkehrte, schlief sie ein, fuhr jedoch schon in aller Frühe wieder hoch,
aufgeschreckt durch Klopfgeräusche an ihrer Tür. Langsam öffnete sie, aber niemand war zu sehen, alle schienen noch zu schlafen. Dann ging sie duschen, damit sie später Jan
und Henrike nicht im Bad störte. Es war ihr jetzt gleichgültig, ob sie beobachtet wurde, man hatte sie schon genug observiert, es gab keinerlei Tabus mehr.
Frustriert und vom wenigen Schlaf gezeichnet, wartete sie im Gästezimmer, bis Henrike sie zum Frühstück rief.