Die Frau ihres Bruders, eine patente, freundliche und hilfsbereite Person, öffnete ihr die Tür. „Hallo Henrike.“ Sie
umarmten sich, wie es auch bei ihr zur Gewohnheit geworden war, seit Henrike, die aus dem Süden Deutschlands kam, hier lebte. „Hallo, wie geht`s? Was macht die Wohnung? Hast
du die Küche schon bestellt?" Gemeinsam besuchten sie ein Möbelgeschäft, hatten vorher die Räume ausgemessen und sich einige Einrichtungsgegenstände angesehen und
zusammenstellen lassen. Ihr lag viel an Henrikes Meinung und Rat, da sie einen sehr guten Geschmack bewies. „Noch nicht, habe es mir noch mal überlegt. Aber sag mal, ist Jan
schon da, ich muss ihn dringend sprechen."
Ihr Bruder kam ihr bereits entgegen, drückte sie an sich, und sie bedankte sich nochmals für die Hilfe bei
dem Umzug in ihre kleine Wohnung. Jetzt brauchte sie Jans logisches Denken und glaubte fest daran, von ihm die Lösung für ihr Problem zu erhalten. „Können wir kurz ins
Internet gehen?" „Klar, worum geht`s denn?" „Ich brauche eine Telefonnummer, und zwar zusammengesetzt aus diesen Zahlen." Sie blendete eine Seite mit Tagesnachrichten auf.
„Hier, aus diesen Zahlen müssen wir eine Nummer kombinieren."
Jan schaute sie entgeistert an. „Das sind die neuesten Benzin- und Dieselpreise. Daraus
lassen sich keine Telefonnummern zaubern." Er schüttelte leicht den Kopf und ließ eine Spur von Ratlosigkeit erkennen, trotzdem gab sie ihm keine weiteren Erklärungen
dazu.
Natürlich hatte sie am Vormittag schon einige Stunden damit verbracht, diesen Code zu knacken, zu Hause, an ihrem eigenen Computer, doch das wollte
sie ihm lieber nicht auf die Nase binden, er würde sie wahrscheinlich für "nicht ganz bei Trost" halten. "Bitte, dann lass es uns damit probieren!" Sie wechselte auf die
Seite, die ihr weitere Informationen liefern sollte. „Nur Staumeldungen von Autobahnen", versicherte er kurz angebunden.
Da war sie ganz anderer Ansicht
als er, beschloss aber, es dabei zu belassen, um Diskussionen aus dem Weg zu gehen. Sie konnte ihn also nicht dazu bewegen, sie bei ihrer wichtigen Mission zu unterstützen.
Dann eben nicht, lieber Bruder, dachte sie.
Diese Telefonnummer war ein wichtiger Teil ihrer Aufgabe geworden, denn nur damit konnte sie ihn erreichen,
wenn sie am Ort ihres geheimen Treffen angekommen war. Dass sie ihm nicht mehr schreiben durfte und aus ihr unbekannten Gründen solche Heimlichkeiten nötig waren, hatte sie
aus den Nachrichten erfahren.
Seit einigen Tagen lief sie schon durch den Stadtteil, in dem sie seit kurzer Zeit wohnte und suchte nach dem Ort, den man
ihr als Treffpunkt übermittelt hatte. Unterstützt wurde sie dabei von seinen Leuten, die sie scheinbar in seine Richtung führten, doch sie vermasselte ständig alles, das lag
wohl in ihrer Natur. Und ohne Jans Hilfe war sie weiterhin auf sich selbst gestellt, wenn sie ihm jemals begegnen wollte.