Wie viele Stunden sie in dem Laden verbrachte, wusste sie nicht mehr. Jegliches Gefühl für Zeit war ihr abhanden gekommen,
obwohl sie lange vor den ausliegenden Uhren des Schmuckgeschäftes nebenan stehen geblieben war. In den Regalen, vor denen sie jetzt stand, befanden sich Tassen mit Namen,
Frühstücksbrettchen mit witzigen Aufschriften, rote Kissen in Herzform und allerlei anderer Kram.
Sie hatten sie hierher gelenkt, kamen von allen
Seiten, schnitten ihr den Weg ab, den sie eigentlich gehen wollte und trieben sie in die Enge wie ein Tier, das erlegt werden sollte. Am Morgen machte sie sich auf, um
pünktlich am Treffpunkt zu erscheinen. Wo genau das sein würde, war ihr nicht klar gewesen, als sie die Hinweise bekam.
Den ganzen Tag lief sie durch
die Gänge, wurde geführt und hin und hergeleitet, ohne das Ziel zu erreichen. Der Versuch, ihnen zu entkommen, scheiterte kläglich. Sie fuhren, wie schon in den Tagen zuvor,
an ihr vorbei, dieselben Autos, dieselben Menschen. Es war zwecklos, denn sie blockierten jede Kreuzung, die sie überqueren wollte, alle Ampeln waren für sie auf rot gestellt.
Völlig verzweifelt von dem Misslingen ihrer Flucht, lief sie zurück in die Einkaufspassage.
Das Warten auf ein Zeichen, dass sie ihn nun endlich treffen
sollte, zog sich über Stunden hin. Kunden kamen und gingen, kauften ein, beachteten sie nicht und sprachen sie nicht an, während sie darauf vertraute, dass bald irgendetwas
passierte. Sie konnte es kaum glauben, aber nur für sie wurde das alles inszeniert, das Gebäude abgeriegelt und Ausgänge nur für diese Aktion gesperrt.
Eine Durchsage erlöste sie von ihrem unfreiwilligen Aufenthalt. „Meine Damen und Herren, bitte verlassen sie jetzt das Gebäude, wir schließen um 20.00 Uhr. Morgen haben wir
wie gewohnt für sie geöffnet." Enttäuscht verließ sie den Laden, niemand hielt sie mehr auf. Mit Tränen in den Augen kam sie zu Hause an, ohne ihre ständigen Begleiter auf den
Straßen nur eines Blickes gewürdigt zu haben.
Wie gewohnt schaltete sie zuerst das Radio ein, dann den Computer. Erneut tippte sie ein, was sie erlebt
hatte, wieder ohne zu wissen, wo ihre Nachricht landen würde. Ihr wiederholtes Versagen machte ihr immer mehr zu schaffen. Als Antwort war das Lied "All die Aureblecke" der
Gruppe BAP zu hören, das sie nun schon seit Tagen verfolgte und sie jedes Mal traurig stimmte, weil es in ihren Ohren wie Abschied klang. Weitere Hinweise gab es nicht an
diesem Abend.
Sicher war nur, dass sie zu ihm keinen Kontakt mehr aufnehmen durfte. Sich jemandem anzuvertrauen war unmöglich, sie musste schweigen und
allein weitermachen, denn alles deutete darauf hin, dass sie mitten in eine Agentengeschichte geraten war.