Mein Leben mit Cecilia
Hauptpersonen:
Ich: Donatella
abgekürzt: Donna, 54 Jahre, Nachname: Felten
Mein Mann Magnus, 56 Jahre, Nachname: ebenfalls
Felten
Beide wohnhaft in: Köln-Kalk
Unsere Tochter: Daniela, 25 Jahre,
Krankenschwester, genannt (von ihrem Vater) Dani Schätzchen
Wohnhaft in:
Düsseldorf-Niederkassel
Weitere Persönlichkeiten: Cecilia, Henk und viele
Andere.
Kapitel 1
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Mein Leben mit Cecilia
Ich bin Donatella, abgekürzt Donna, 54, Nachname: Felten
Wenig erfolgreich im Beruf, aktuell arbeitslos, kein Abi, kein Studium, verheiratet, 1 Kind. Verspätete Ausbildung mit 32
zwischen Küche und Herd, Karriere-Mann und Kleinkind.
Hobbies: Malerei und Zeichnen, Tanzen und Musik
Ich weiß nicht, zum wievielten Mal ich mich über Magnus ärgere.
Meinen Job verlor ich ohne eigenes Verschulden. Die Suche nach
einer neuen Einnahmequelle verläuft schon seit Monaten erfolglos. Die Arbeitsagentur nahm mich in Augenschein und stellte mir noch gute Chancen am Arbeitsmarkt in Aussicht,
bis ihr Blick auf mein Geburtsdatum fiel.
„Frau Felten, sie sind doch eine qualifizierte Kraft. Machen sie was draus, knien sie sich rein, dann wird es
schon, allerdings könnte das Alter ein klitzekleines Problem sein, aber wirklich nur ein klitzekleines“, ermutigte mich mein Sachbearbeiter.
Und
überhaupt, bin ich eine Sache? Sachen haben kein Herz, keine Seele und kein verschwundenes Selbstvertrauen. Ich sammle also jetzt Erfahrung in der Arbeitssuche, schreibe
massenhaft Bewerbungen, hefte diese in meinem Sach-Ordner ab, mit dem Etikett: Sach-Ordner Donna,
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54 Jahre, am Rande des Todes und arbeitssuchend. Wie ich mich fühle, sollen auch ruhig andere erfahren.
„Donna, was soll das? Bist du übergeschnappt?“ Der Ordner fällt sogar Magnus auf, als er zufällig etwas aus dem Aktenschrank heraussucht. Zwei Regale seiner Büro Ecke sind
gefüllt mit 10 roten Ordnern für „ Satellite: Sehr wichtig, 5 grünen Ordnern mit „Satellite: Streng vertraulich und 5 gelben Ordnern mit „Satellite: aktuelle Projekte.
Darunter gibt es eine Reihe weißer Ordner mit privatem Schriftkram: Magnus, Magnus, Magnus, Donna, Magnus und Donna und dann noch meinen lilafarbenen
Bewerbungsordner.
Um Magnus kurz vorzustellen:
Mein Mann Magnus, 56 Jahre,
Nachname: ebenfalls Felten
Erfolgreich im Beruf, Abteilungsleiter der deutschen Niederlassung der amerikanischen Firma
„Satellite“, Herstellung von Satellitenanlagen, ausgelastet und manchmal am Rande des Burnout, romantisch wie ein Kehrblech. Sportlich, das ganze Gegenteil von mir, was er mir
ständig aufs Brot schmiert.
Hobbies: Die Firma, Joggen und Golf spielen
Magnus
Ordnungsfimmel, was den Schriftkram anbelangt, hat mich schon so manches Mal zur Weißglut gebracht. „Donna, kannst du nicht einmal ein bisschen mit System arbeiten?“ „Wozu
denn das, bei zwei Ordnern. Da verlier ich schon nicht die Übersicht“, wehre ich mich, wenn er mir mein Chaos vorhält.
Man kann nicht sagen, dass ihm
seine Arbeit wichtiger ist als ich, nein, Magnus ist sich wichtiger als ich, danach kommt seine
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Arbeit, seine Tochter und dann ist Schluss. Wenn Magnus mich von der Steuer absetzen könnte, dann ganz sicher als außergewöhnliche Belastung.
Warum ich Magnus vor 33 Jahren überhaupt aufgefallen bin, ist mir nach wie vor ein Rätsel. Unsere Interessen drifteten im Laufe der Jahre auseinander.
Ach ja, um wieder auf das Thema zu kommen, ich rege mich mal wieder höllisch über eine blöde Bemerkung von Magnus auf.
Was für mich von großer
Wichtigkeit ist, bezeichnet Magnus als Kleckserei und Gehopse. Ich kochte vor mich hin angesichts seiner Abwertung aller meiner Hobbies, von denen er genauso wenig versteht,
wie von meinem Seelenleben und vom Eierkochen.
Ist die Welt der Männer so viel anders, als die der Frauen? Empfinden sie überhaupt etwas? Mir ist die
Seele von Magnus genauso unbekannt, wie mein Nachbar drei Häuser weiter. Sollte ich vielleicht die Lager wechseln? Verstehen Frauen einander besser, als Frau und Mann? Über
diese Kombination denke ich in letzter Zeit häufiger nach, und zwar laut und deutlich.
„Donna, was sagst du? Ich verstehe dich nicht. Du musst schon
herkommen, wenn du dich mit mir unterhalten willst.“ Magnus hat wieder Arbeit mit nach Hause gebracht und sich in unserem gemeinsamen Arbeitszimmer ausgebreitet. Ich ziehe es
daher vor, es mir im Wohnzimmer bequem zu machen und aus Magnus Sichtfeld zu verschwinden.
„Es ist nichts, Magnus. Lass dich durch mich nicht stören.“
Mit Magnus nun zum x-ten Mal das Thema Fernstudium in Malerei zu diskutieren, danach steht mir gerade nicht der Sinn. Für ihn dient diese Art der Weiterbildung
ausschließlich
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einem beruflichen Nutzen, nicht aber der
Selbstverwirklichungsspinnereien einer Möchtegernkünstlerin.
Ich bin schrecklich müde, kuschle mich in meine Wolldecke auf dem Sofa und versuche, meine
Wut weg zu schlafen. Langsam dusele ich ein und träume von meiner ersten eigenen “Vernissage“.
„Donna, Donna, wach auf“, glaube
ich, Magnus Stimme zu hören. Nach und nach, aus dem Tiefschlaf kommend und bei einem Gespräch mit einem Kunst niedermetzelnden Journalisten gestört, öffne ich zur Hälfte meine
Augen. Ich bin froh, dass ich geweckt werde, bevor ich auf ihm mein Sektglas entleere.
„Donna, Herzchen, komm endlich zu dir.“ Ich bin überrascht, dass
in Magnus Wortschatz dieses Kosewort überhaupt existiert. Aber Magnus Stimme ist nicht Magnus Stimme. Jetzt bin ich sicher, dass es eine Frauenstimme ist, die mich dazu
nötigt, beide Augen komplett zu öffnen.
„Dani, Dani, wieso bist du hier?“ „Ach, Mensch, Donna, jetzt mach schon, genug gepennt.“ „Dani, wo bist
du?“„Dani ist nicht hier, Donna. Du musst schon mit mir vorlieb nehmen.“ Allmählich registriere ich, dass es nicht Daniela, meine Tochter ist, die mich so ungeduldig
wachrüttelt. Doch wer ist es dann? Ich setze mich auf und suche meine Brille.
„Na endlich, geht doch“, sagt die Frauenstimme, die mich ein wenig ins
Gruseln versetzt. Du bist immer noch in deinem Traum, Donna, du träumst noch, rede ich mir ein. Es ist später Nachmittag und die Dunkelheit weit fortgeschritten, so dass ich
mich noch immer orientierungslos in der Wohnung umsehe.
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„Weißt du was,
Donna, ich mach jetzt mal Licht, sonst findest du mich nie.“ „Ach du Schande, ich glaub, ich spinne.“ Der Anblick, der sich mir im Licht bietet, lässt mich glatt vom Glauben
abfallen, und ich stoße einen langen Schreckensschrei aus. Die Frau nimmt mir gegenüber auf dem Sofa Platz und schlägt die langen schlanken Beine übereinander.
„Beruhige dich, Donna, du siehst mich doch nicht zum ersten Mal. Aber es ist immer das Gleiche mit den Leuten, die mich kennen lernen, immer das Gleiche“, seufzt die
mir irgendwie vertraute Person, die mich freundlich anlächelt. „Magnus, Magnus, bist du da?“, rufe ich noch einmal angsterfüllt. „Magnus ist nicht da, Donna, er ist nochmal
ins Büro gefahren, es ist alles in Ordnung. Hier, lies den Zettel.“
„Cecilia?“, frage ich ungläubig. Mein Blick schweift durch das Wohnzimmer und bleibt
in der Ecke an der Balkontür hängen. Der Platz, an dem sonst Cecilia steht, ist leer. Stattdessen sitzt mir Cecilia quicklebendig gegenüber, Cecilia, die Schaufensterpuppe.
„Na, das hat ja gedauert, bis du es geschnallt hast, Donna. Wenn du immer so ein Spätzünder bist, kann das mit uns noch heiter werden, befürchte ich.“
Noch immer kann ich es nicht ganz glauben, was mir da so gerade widerfährt. Doch Cecilia bemerkt meine Zweifel. „Gut, Donna, ich sehe, dass ich dich im Moment ein bisschen
überfordere. Wir lassen uns Zeit, Donna, viel Zeit.“
Cecilia rückt ein Stück näher zu mir heran, und ich fahre vor Schreck zurück. „Du bist tatsächlich
Cecilia?“ Ich werde nervös. Mein Körper beginnt zu zittern. „Donna, es ist alles gut, hier, fühl doch mal.“ Sie hält mir den Arm hin. Mutiger geworden, berühre ich sie mit
meiner Hand.Ich
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fahre über die schwarzen Dreiecke und Trapeze, die ich ihr
auf den Körper gemalt habe. Ursprünglich war Cecilia grün und grau/schwarz mit einem Ruhrgebietsmotiv bemalt, als sie vor zwei Jahren zu uns gekommen ist. Vor ein paar Wochen
jedoch habe ich sie komplett neu gestaltet. Jetzt ist Cecilia eierschalenfarben im Grundanstrich und mit schwarzen geometrischen Formen versehen, passend zur neuen
Wohnzimmereinrichtung.
Außerdem trägt Cecilia Magnus schwarzen Hut auf ihrem haarlosen, wohlgeformten Kopf. Ihre Augen muss ich noch ein wenig
nacharbeiten, denke ich, und die Brauen etwas schmaler… „Und, glaubst du es jetzt, Donna?“ Cecilias Wärme, ihre weiche zarte Haut, ihre Bewegungen, alles, was sie lebendig
erscheinen lässt, überzeugt mich mehr und mehr von ihrer Echtheit, und ich nicke trancenhaft.
„Cecilia, ich habe gedacht, es ist wieder da.“ „Oh, Donna,
ich wollte dich nicht erschrecken, du bist vollkommen gesund. Du brauchst dich nicht zu fürchten, armes Ding“, tröstet sie mich und nimmt meine noch immer zitternde
Hand.
„Cecilia, wenn ich nicht krank bin, wie…, ich wollte sagen, warum bist du jetzt…?“ „Warum ich lebe, willst du wissen. Nun, ich denke, dass du
meine Hilfe brauchst, Donna. Du hast lange an mir gearbeitet, du warst liebevoll mit mir, geduldig und respektvoll, hast mich gut behandelt. Aber deine ewige Demut vor Magnus
und deiner Tochter muss endlich verschwinden. Du bist ein eigenständiger Mensch. Draußen wartet das Leben auf dich. Wenn du dich hier verkriechst, wird Magnus dich weiterhin
herunterputzen.“
„So hab ich das noch gar nicht gesehen, Cecilia.“ „Glaub mir, Donna, Herzchen, es ist so. Aber jetzt ist Cecilia an deiner Seite.“
Cecilia schaut an sich hinunter. „Donna, ein Hühnchen habe ich aber
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noch
mit dir zu rupfen. Du hättest dir ein bisschen mehr Mühe geben können mit deiner Malerei. Schwarz auf Eierschale lass ich ja noch gelten, aber das Riesendreieck an…an dieser
Stelle, nicht sehr originell, finde ich.“ Cecilia zeigt auf den Bereich zwischen ihrem Bauch und den Oberschenkeln.
„Und dann der Blitz, der darauf
zeigt, was hast du dir nur dabei gedacht, Donna?“ Ich muss jetzt schmunzeln, weil Cecilia so menschliche Züge an den Tag legt. Meine Stimme versagt jedoch, als ich ihr eine
Antwort auf ihre Frage geben will. „Ich merke schon, Donna du solltest erstmal einen Kaffee trinken.“
Mit den Bewegungen einer animierten Computerfigur
läuft Cecilia durch den Flur in die Küche. Endlich bin ich in der Lage aufzustehen und folge ihr mit gebührendem Abstand. Sie scheint sich in unserem Haus auszukennen und
bedient die Kaffeemaschine, als sei es das Normalste von der Welt für eine Schaufensterpuppe. Ich fühle mich wie ein Zwerg neben der 1,80 Meter großen und gertenschlanken
Frau, die ich höchstens auf 55 kg und Konfektionsgröße 34 schätze.
„Du kennst dich hier aus?“, frage ich immer noch unsicher, ob ich nicht doch wieder
von einem Krankheitsschub heimgesucht werde. „Und du hörst immer alles mit, was wir so reden, Cecilia? Unsere Streitereien und Probleme, die wir miteinander haben?“ „Alles,
Donna“, antwortet Cecilia lächelnd. „Aber keine Angst, ist ja alles menschlich, nicht wahr. Und wenn es doch mal bei euch zu Knistern beginnt, was ja höchst selten vorkommt,
dann bin ich halt wie die drei Affen. Augen zu, Ohren zu und Mund zu.“
Die Vorstellung, dass Cecilia alles, aber auch wirklich alles in unserer
Lebensgemeinschaft miterlebt, erzeugt bei mir eine Gänsehaut, und ich schiebe diese Vorstellung einfach beiseite. Die Haustür
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wird aufgeschlossen, und mir rutscht das Herz in die Hose, als ich Magnus hereinkommen höre. „Ich bin wieder da, Donna.
Hast du meinen Zettel gelesen?“ Ich hechte ihm entgegen, um ihn daran zu hindern, in die Küche zu gehen. „Was ist, Donna? Hab ich dich geweckt?“ „Nein, Magnus, ich hab mir
gerade einen Kaffee gekocht.“
Ich hake mich unter seinem Arm ein und ziehe ihn ins Arbeitszimmer. „Donna, was hast du, was soll ich hier?“ „Ich wollte…
wollte dir nur zeigen, wie wir noch mehr Regale hier aufbauen könnten, für deine…für deine „Satellite“ Ordner.“ Ich stottere und verfranze mich komplett mit meiner Ausrede.
„Aber ich habe nicht noch mehr Ordner, Donna. Was kümmert dich denn plötzlich die Ordnung im Haus?“
Magnus schlägt ohne eine Antwort von mir abzuwarten
den Weg in die Küche ein. Jetzt ist es zu spät, wie erkläre ich ihm bloß Cecilia, denke ich verzweifelt. „Kann ich mir einen Kaffee nehmen, Donna?“ Magnus holt sich eine Tasse
aus dem Küchenschrank, und ich schleiche angespannt hinter ihm her. Jetzt muss er sie doch gesehen haben. Doch in der Küche ist nur Magnus, der sich jetzt einen Kaffee
einschüttet. „Donna, du bist so merkwürdig. Du schaust drein, wie ein gejagtes Wild mit Panik in den Augen. Geht es dir nicht gut?“
Magnus sieht mich
skeptisch an. Ich wende mich ab und hetze ins Wohnzimmer. Cecilia steht wie immer starr geradeaus blickend in ihrer Ecke. Von meinem merkwürdigen Verhalten alarmiert kommt
Magnus hinter mir her, setzt sich auf das Sofa und beobachtet mich dabei, wie ich vor Cecilia stehe und ihre blauen kalten Augen mustere. Dann berühre ich ihre Arme. Ich fühle
nur harten Kunststoff und reibe dann verwirrt meine Augen.
„Donna, mit dir stimmt doch was nicht? Sag mir endlich, was los ist“, drängt er mich
ungehalten. Sein Ton macht mir
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Angst, und ich bin total von seinem
autoritären Gehabe eingeschüchtert. „Magnus, die Puppe…“, bringe ich mühsam hervor. „Was ist mit der Puppe, Donna?“ Plötzlich muss ich weinen, weil mir bewusst wird, dass ich
mir Cecilias Menschwerdung nur eingebildet habe. „Magnus, Cecilia lebt.“
„Donna, Donna, jetzt mal langsam. Wer ist Cecilia?“ „Na sie“, antworte ich und
zeige auf Cecilias Gesicht. Ihre Augen scheinen meinen Bewegungen zu folgen. „Oh, nein Donna, nicht alles nochmal von vorne.“ Magnus hat schnell begriffen, dass ich gerade
dabei bin, erneut die Symptome einer Wahrnehmungsstörung zu entwickeln, die mich schon einmal für Wochen zum Aufenthalt in einer Klinik gezwungen haben. „Wenn ich`s dir doch
sage, sie lebt. Ich habe mit ihr gesprochen“, behaupte ich steif und fest. „Donna, diese Puppe ist nur eine Puppe, sonst nichts, glaube es mir!“ Magnus steht vor mir und
ergreift fest meinen Arm. Sein Griff tut mir weh. Er schüttelt den Kopf, aber er tröstet mich nicht, so wie er es auch damals nicht getan hat.
„Donna,
morgen Früh nehme ich mir frei, und wir fahren zu Dr. Kant.“ Er wartet meine Antwort nicht ab, sondern greift gleich zum Telefon. Erschöpft von dem ereignisreichen Nachmittag
lege ich mich erneut auf das Sofa. „Ja, Dani Schätzchen, ich bin nach Hause gekommen, und sie war schon ganz komisch. Sie behauptet, mit der Puppe gesprochen zu haben, mit
Cecilia. Ja, Dani Schätzchen, genau wie beim letzten Mal. Aber wir dürfen nicht zu lange warten, bis es schlimmer wird. Morgen früh gehe ich mit ihr zu Dr. Kant, der kann uns
eine Einweisung ausstellen. Ja, das befürchte ich auch. Willst du mit ihr sprechen?“ Ich liege deprimiert in meine Decke gehüllt und lasse meinen Blick nicht von Cecilia.
Magnus reicht
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mir den Hörer. „Mami, was ist mit dir? Sag bitte was.“ Dani
klingt sehr besorgt, und ich habe ein schlechtes Gewissen, dass ich ihr schon wieder so viel Angst einjage. „Ja, Dani, ich hab mit ihr gesprochen, und sie hat Kaffee gekocht.“
Magnus Gesicht mutiert zum Fragezeichen. Ich muss grinsen, als ich ihn so ratlos sehe. „Mami, hast du deine Medikamente genommen?“ „Natürlich hab ich
das, Dani. Regelmäßig“, versichere ich ihr. „Mami, bitte tu, was Papa sagt, ja. Ich hab dich lieb, Mami.“
Dani ist den Tränen nahe. Ich höre sie durchs
Telefon weinen und ihre Nase putzen. „Ich rufe morgen wieder an, Mami. Vielleicht ist es ja gar nicht so schlimm, nur eine kurze vorübergehende Störung.“ Dani schluchzt. „Bis
Morgen, Mami.“
„Sie ruft Morgen wieder an, Magnus.“ „Gut, Donna. Dann machen wir das so. Du kannst schon mal deine Tasche packen, für alle Fälle“, rät
Magnus mir mit einer hilflosen Miene. Ich habe das Gefühl, dass ich ihm wieder zum Klotz am Bein geworden bin und er mir die Schuld am erneuten Auftreten der Störungen gibt.
Kranke Menschen waren ihm schon immer unbequem.
Magnus verzieht sich ins Arbeitszimmer, und ich bleibe auf dem Sofa liegen,
schalte den Fernseher ein und blicke den ganzen Abend lang Cecilia an.
Ich werde wach, als mich jemand an den Fußsohlen kitzelt
und leise meinen Namen sagt. „Donna, Herzchen, mach die Augen auf.“ Der Fernseher läuft. Ich versuche ohne meine Brille nach der Uhrzeit zu sehen, doch die Uhr steht zu weit
entfernt von mir. „Wie spät ist es, Magnus?“ „Sehe ich etwa aus wie Magnus, Donna, Herzchen? Es ist 2.00 Uhr, du solltest ins Bett gehen.“ Cecilia sitzt am Sofaende und schaut
sich mit mir die
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Spätnachrichten an. Sie reicht mir meine Brille, und ich
kann mich selbst davon überzeugen, dass meine neue Freundin sich aus ihrer Ecke herausgeschält hat, um sich mit mir die Zeit zu vertreiben. „Da hast du dir ja was Schönes
eingebrockt, Donna.“ „Was meinst du, Cecilia?“ „Na, ich meine die Sache mit Dr. Kant. Er wird dich wieder einweisen, weil Magnus es so will. Du hättest ihm einfach nichts von
mir erzählen sollen.“
„Cecilia, ich habe wieder gezweifelt, an mir selbst gezweifelt und an dir. Es ist einfach so unvorstellbar für mich, dass du… dass
du lebst.“ „Naja, du wirst dich schon an mich gewöhnen, ich sagte doch schon, wir nehmen uns Zeit, Donna. Keine Angst, du wirst nicht lange in der Klap…, ich meine in der
Klinik bleiben. Cecilia wird dich ganz schnell herausholen. Doch vorher müssen wir noch einige Dinge regeln. Schau mal, Donna, so auffällig kann ich ja nicht unter die Leute
gehen, deine Malkünste in allen Ehren, aber …
Also, ich brauche eine rote Perücke, oder eine Schwarze, was meinst du, oder vielleicht eine Blonde? Na,
entscheide du das, Donna. Dann einen roten Lippenstift, ein paar Kleider, Hosen, Strumpfhosen, Unterwäsche, Schuhe, na eben alles, was eine Frau so braucht, um eine große
Reise zu machen und nicht gleich von der Bundespolizei wegen unzüchtiger Bemalung am Flughafen verhaftet zu werden. Hm, wie machen wir das denn mit dem Reisepass und dem
Personalausweis? Die Zeit ist so kurz.“
„Moment, Cecilia“, unterbreche ich sie jetzt. „Ich höre immer Reise, wo willst du denn hin?“ „Nicht ich, Donna,
wir beide werden verreisen.“ Ich bin durcheinander, weil Cecilias Worte wegen meiner Müdigkeit nur gedämpft zu mir vordringen. „Donna, schaffst du es, Magnus dazu zu bringen,
dass er erst am Nachmittag mit dir zu Dr. Kant geht, damit du noch einkaufen kannst?“ „Ja, sicher. Aber dein
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Pass? Ist meiner denn noch gültig?“ „Sag mir wo ich ihn finde, dann schauen wir nach.“ Ich bin von Cecilias Reiseplänen
vollkommen überrumpelt und kann meine Gedanken gar nicht ordnen. „Ich glaube, im Schlafzimmer in meiner Spiegelkommode, Cecilia.“ „Bin gleich wieder da, Donna.“
Ohne auch nur ein Geräusch zu machen, schwebt Cecilia durch den Flur in die unteren Räume unseres Hauses. Nach zwei Minuten erscheint sie wieder mit meinem Reisepass
in der Hand. „Meine Güte, wie kannst du nur das Geschnarche von Magnus aushalten?“, fragt sie mich kopfschüttelnd.
„So, gültig bis…Ah, kein Problem,
noch 2 Jahre. Jetzt muss ich nur noch meinen…“ Cecilia springt wieder auf und kommt kurze Zeit später mit neuen Nachrichten zu mir ans Sofa. „Schon geregelt, die Sache mit
meinen Pass und Ausweis. Ich habe eine Adresse. Morgen Nachmittag habe ich ihn.“ „Entschuldige, Cecilia, aber das Ganze ist jetzt zu viel für mich. Woher hast du dann die
Adresse?“ „Von Silver“, antwortet Cecilia kurz.
„Du meinst nicht den Silver, der im Arbeitszimmer steht?“ „Genau den meine ich.“ „Ist er auch…?“ „Du
meinst lebendig? „Nein, leider nicht ganz. Aber, er wäre schon mein Typ, Donna. Noch kann er nur reden und auch nur mit mir. Dafür hört er umso besser, und das kann für uns
nur von Vortei sein. Das klingt jetzt ein bisschen verrückt, aber Silver stand mal als stummer Buttler in einer Zockerbude in der Kölner Altstadt. Da hat er so einiges
aufgeschnappt, auch wie man schnell und unbürokratisch an Dokumente kommt.“
Silver haben wir zusammen mit Cecilia angeschafft und ihn kurzerhand neben
dem großen Aktenregal deponiert.
Mittlerweile ist es 3.00 Uhr. Ich brauche dringend eine Mütze voll Schlaf. „Wenn ich das Magnus erzähle…“ Cecilia steht
plötzlich wieder in ihrer Ecke und starrt wie immer in die übliche Richtung. Sie muss Magnus die Kellertreppe herauf
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kommen gehört haben. „Donna, es ist 3.00 Uhr, komm endlich ins Bett. Was redest du denn die ganze Zeit mit dir selbst?“ „Ich
hab mit Cecilia geredet“, rutscht es aus mir heraus. „Donna, sie steht dort in der Ecke, stocksteif und stumm.“ Seine Stimme klingt sehr gereizt, und er stellt sich
demonstrativ vor Cecilia.
„So, schau her, sie ist eine Puppe, kann nicht sehen und nicht reden.“ Magnus dreht ihr den Rücken zu und zieht seine
Pyjamahose herunter, sodass Cecilia sein nacktes Hinterteil zu sehen bekommt. „Siehst du, keine Reaktion, auch nicht, wenn ich mich umdrehe.“ „Magnus, nicht“, rufe ich noch,
aber es ist zu spät. Er steht vor Cecilia mit heruntergelassenen Hosen und präsentiert ihr seine edelsten Teile. Ich lache laut in meine Faust, und Magnus zieht seine Hose
wieder hoch.
Cecilia hat für einen kurzen Moment ihre Augen geschlossen, und ich kann ein minimales Lächeln auf ihren Zügen ausmachen, als Magnus sich
nun wieder mir zuwendet.
„Wow, Donna, eigentlich schade, dass du dich nicht mehr so gut mit Magnus verstehst. Er ist trotz seiner
patriarchalischen Art ein überaus attraktiver Mann, das musst du zugeben.“ Cecilia gesellt sich zum Frühstück zu mir, als Magnus, nach langem Drängen von mir, doch zunächst in
sein Büro fährt.
„Donna Herzchen, ich wusste gar nicht, wo ich hinschauen sollte“, gesteht Cecilia mir höchst amüsiert. „Ja, Magnus hat sich in jeder
Beziehung sehr gut gehalten“, pflichte ich ihr bei. „Geradezu knabenhaft, seine Figur“, schwärmt Cecilia weiter. Um Cecilia zu bremsen, damit sie sich nicht in Details
verliert, bespreche ich mit ihr die
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Besorgungen, die ich für sie erledigen
soll. „Also, Donna, zuerst gehst du zu dieser Adresse und bestellst meine Papiere. Ich kann ja schlecht in diesem Look dort auftauchen.“ „Cecilia, es wird einiges kosten,
umsonst bekommt man gar nichts. Ich habe kein Sparbuch und mein Konto ist im Moment blank. Ich habe noch etwas Bargeld für deine Kleider, aber das war`s dann schon. Magnus hat
alle Vollmachten und verwaltet mein Geld. Die Eingänge von der Arbeitsagentur werden direkt auf eines unserer gemeinsamen Sparbücher umgebucht.“
„Das
Geld für die Reise lass mal meine Sorge sein.“ „Kommt gar nicht in Frage, Cecilia. Lieber lasse ich die Reise sausen, als von fremder Leute Geld zu leben.“ „Hast du keine
Berechtigung, etwas abzuholen, Donna?“ „Natürlich habe ich das, aber was soll ich ihm sagen? Magnus, ich brauche das Geld für meine Schaufensterpuppe und ihren Ausweis und
Pass, den wir illegal anfertigen lassen, weil sie mit mir verreisen will? Und die Reise wird auch nicht wenig …, sag mal, wo soll es denn überhaupt hingehen, Cecilia?“ „Das
entscheidet du, Donna. Du kannst schon mal drüber nachdenken, während ich Erkundigungen über Magnus bei Silver einhole. Ich hab da so eine Idee, wie wir das Geld aus ihm
herauskitzeln können. Bezahlen werden wir die Papiere erst, wenn sie fertig sind. So, und nun mach dich auf den Weg, Donna. Sonst wird die Zeit knapp."
Wir schreiben noch Cecilias Wunschnachname und alle wichtigen Daten auf, dann fahre ich mit der Bahn in einen Kölner Stadtteil, nicht weit vom Rotlichtviertel entfernt.
Meine Güte, Donna, was machst du hier überhaupt? Ich ziehe meine Hand noch einmal zurück. Cecilia schickt dich zu einem…einem
Kriminellen und du tust, was sie dir sagt? Donna,
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komm wieder zurück
aus diesem Irrgarten, du machst alles nur noch schlimmer. Wenn du hier anschellst und nach Narben Paul fragst, werden die Bewohner sofort die Polizei holen. Willst du das noch
einmal mitmachen?
Ich drücke auf die Klingel, und die Tür wird von einer alten Frau geöffnet. Sie hat eine Zigarre im Mundwinkel und mustert mich
misstrauisch. „Ja?“ Ich weiß nicht was ich antworten soll, weil sie mir eigentlich gar keine Frage gestellt hat. Dann probiert sie es erneut. Sie nimmt ihre Zigarre aus dem
Mund und pustet mich kräftig mit ihrem Rauch an, und ich bekomme einen Hustenanfall.
„Was wollen sie?“ Ihr Ton ist keineswegs freundlicher geworden, und
ich will gerade die Flucht ergreifen, als sie mich am Arm festhält. „Sind sie Donna?“ Völlig verwirrt darüber, dass sie meinen Namen kennt, bekomme ich kein Wort heraus. „Sind
sie´s oder sind sie`s nicht?“, will die alte Dame jetzt ungehalten wissen. „Woher kennen sie meinen Namen?“ Meine Stimme muss klingen, als hätte ich tausend Rasierklingen
verschluckt. Meine Kehle ist trocken und ich huste erneut.
„Von Cecilia“, antwortet die Alte knapp. „Komm rein, Süße.“ Sie macht den Weg in den düsteren
Flur frei für mich. Es ist alles nur ein Traum, Donna, gleich wachst du auf und liegst neben deinem schnarchenden Mann. „Ich bin die Rote Rita", stellt sie sich vor und raucht
ihre Zigarre genüsslich weiter. „Cecilia hat dich telefonisch angekündigt, für alle Fälle, hat sie gesagt. Sie meint, du wärst ein wenig schüchtern. Na, da hat sie nicht
übertrieben.“
Die Rote Rita muss so um die 70 sein, wenn mich meine Menschenkenntnis nicht gerade im Stich lässt. Ihre kurzen Haare sind grell rot
gefärbt, und sie trägt einen noch grelleren Lippenstift. „Na, geh schon weiter, nicht so zaghaft, wir beißen nicht. Paul ist im Keller. Immer geradeaus, dann die Treppe
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runter.“ Die Rote Rita folgt mir auf dem Fuß. Dann klopft sie an eine alte
Holztür, in deren oberen Hälfte sich eine kleine Luke befindet. Die Klappe öffnet sich und ein etwa 50 Jahre alter Mann mit einer gut sichtbaren Narbe quer über den Mund und
das Kinn schaut mich mit finsterem Gesichtsausdruck an.
„Ist sie das?“, will er von der Roten Rita wissen. „Mach schon auf, Paul“, raunst sie ihr
Gegenüber an. „Sie kommt von Silver.“ Die Erwähnung des Namens lässt Narben Paul augenblicklich die Holztür öffnen. „Mama, machst du uns einen Kaffee?“ „Wird gleich erledigt,
Sohn. Aber sei höflich zu der Dame, klar? Keine Schweinereien oder Anzüglichkeiten, sonst bekommt du Ärger mit mir, verstanden?“
Narben Paul bittet
mich, Platz zu nehmen und taxiert mich von Unten nach Oben. In dem Raum stehen verschiedene Geräte, von denen ich vermute, dass sie zur Herstellung der Dokumente verwendet
werden. Paul bietet mir eine Zigarette an. Ich lehne dankend ab und halte Pauls kritischem Blick in meine Augen stand. „Soso, sie wollen also mit Cecilia verreisen, dann
zeigen sie doch mal, was wir so in den Pass und Ausweis schreiben sollen. Wie sieht die finanzielle Seite aus?“ „Bezahlung bei Abholung“, erwidere ich
forsch.
Wir vereinbaren einen Preis, und die Rote Rita erscheint mit einer Kanne und zwei Tassen. „Benimmt er sich, junge Frau? Paul hat es faustdick
hinter den Ohren, müssen sie wissen.“ Pauls Anblick lässt keinerlei Zweifel an der Aussage seiner Mutter. Er setzt sich mir gegenüber auf seinen Schreibtisch, nachdem Rita
wieder abgezogen ist und wagt den Versuch eines gewinnenden Lächelns. „Sind sie schon vergeben, Gnädigste?“ „So vergeben, wie man es nur sein kann.“ Ich probiere einen Bluff,
um mir Narben Paul auf Abstand zu halten. „An einen Kriminal
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Hauptkommissar.“ Narben Pauls Lächeln erstarrt, er setzt sich wieder hinter seinen Schreibtisch und murmelt so was wie: „Auch noch ne Bullenbraut!“ Erleichtert verabschiede
ich mich von Paul und wünsche der Roten Rita noch einen angenehmen Tag. Dann mache ich mich auf zu einem Einkaufbummel in die Kölner
City.
„Ich hab den ganzen Vormittag versucht, dich zu erreichen, Donna. Wir haben um 15.00 Uhr einen Termin bei Dr. Kant.“ Magnus
klingt richtig wütend. „Ich hab noch einige neue Sachen gekauft. „Wieso brauchst du in der Klinik neue Sachen, Donna? Du gehst doch nicht auf Partys.“ „Donna, gib mir mal
bitte den Hörer.“ Cecilia steht plötzlich neben mir. Doch ich halte den Hörer zu und rede zuerst mit ihr. „Was willst du ihm sagen, Cecilia?“
Cecilia
nimmt mir den Hörer aus der Hand. „Das er ein verdammt arrogantes Mannsbild ist mit einem himmlischen Geschl...“ „Oh, nein, Cecilia, das sagst du ihm nicht.“ „Mit einem
himmlischen Körper“, beendet Cecilia ihren Satz.
„Donna, Donna, wer spricht da?“ Magnus hat den ganzen Satz von Cecilia mithören können. „Es ist
niemand, Magnus.“ „Donna, ich hab`s doch selbst gehört, verkauf mich nicht für dumm“, schimpft Magnus so laut, dass Cecilia es hören kann. „Na gut, du willst es ja nicht
anders, es ist Cecilia.“ „Cecilia? Donna, ich komme sofort vorbei, und wir fahren direkt zu Dr. Kant.“
„Puh, Magnus ist stocksauer auf mich, Cecilia.“
„Mach dir nichts draus, Donna. Wir haben ihn ordentlich verwirrt. „Pass auf, er wird gleich wieder vor mir stehen, hoffentlich macht er es nochmal.“ „Cecilia, bitte.“ „Ach,
keine Angst, Donna. Es ist sowieso viel besser, wenn du in die Klinik gehst. Wir können von dort aus ungestört von
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Magnus unsere Reise planen und antreten. So, und jetzt alles auf Start. Der liebe Magnus wird gleich hier sein. Hast du deine
Tasche fertig, Donna?“ „Ja, Cecilia, steht bereit.“ „Wenn ihr weg seid, gehe ich zu Narben Paul und hole meine Papiere. Darf ich dein Make-Up benutzen, Donna? Mein Teint ist
zu hell, wer trägt schon Eierschale.“ „Ich hab dir welches mitgebracht, Cecilia. Und hier ist das Geld für die Dokumente, es reicht noch gerade so aus.“ „Fein, Achtung, Magnus
ist im Anmarsch“, warnt sie mich.
„Sie steht da wie immer, Donna. Also, wer war hier, sag es mir, sonst flippe ich aus.“ Ich
kenne Magnus, wenn er droht auszuflippen. Trotzdem kann ich ihm nichts Anderes sagen und wiederhole mich. „Es war Cecilia.“ „Okay, Okay, Donna. Das reicht
jetzt.“
Magnus versucht, seinen Zorn im Zaum zu halten und redet mit gedämpfter Stimme. „Lass uns fahren, bevor ich diese Puppe im Müllcontainer
entsorge.“
„Sie haben also mit ihrer Schaufensterpuppe gesprochen, Frau Felten. „Ja, genau, mit Cecilia.“ „Oh, Cecilia, hübscher
Name“, schwärmt Dr. Kant. „Sie ist auch eine sehr hübsche Frau, etwa 1,80 groß, 55 kg…“ „Ja, Ja, Frau Felten, ich glaube ihnen das. Und Cecilia hat ihnen geantwortet?“ „Nicht
nur das, Dr. Kant. Sie lebt und hat Kaffee gekocht.“
Dr. Kant reißt erstaunt die Augen auf. „So, hat sie das?“, fragt er mit sanfter Stimme, weil er nie
mit seinen Patienten ungeduldig ist. Magnus verdreht genervt die Augen. „Haben sie sonst noch irgendwelche Stimmen gehört?“ „Nein, sonst war niemand da.“ Ich bleibe bei dem,
was ich schon zu Magnus gesagt habe.
„Herr Dr. Kant, kann ich sie kurz alleine sprechen?“ Magnus schaut Dr. Kant vielsagend an. „Natürlich. Gehen wir
ins Nebenzimmer. Entschuldigen sie uns bitte, Frau
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Felten.“ Ich möchte
wissen, worüber Magnus mit dem Arzt redet und lege neugierig mein Ohr an die Tür. „Herr Doktor, ich habe eine fremde Stimme gehört, kann das auch Donna gewesen sein?“ „Nun, es
gibt solche Krankheitsbilder, in denen mehrere Persönlichkeiten in einem Menschen stecken. Sie reden dann mit verstellter Stimme, gut möglich, dass bei ihrer Frau so eine
Symptomatik aufgetreten ist. Das können die Ärzte in der Klinik aber feststellen, und man kann es in vielen Fällen behandeln, nur manchmal versagt auch hier die gesamte
Schulmedizin und die Patienten leiden ihr ganzes Leben daran.“
„Das hat mir gerade noch gefehlt“, stöhn Magnus. „Ich stelle ihnen jetzt die Einweisung
aus“, beendet Dr. Kant die geheime Unterredung und kehrt mit Magnus zu mir zurück.
Magnus liefert mich in der Klinik ab. Er
wartet gar nicht erst bis zur Aufnahme durch die zuständige Ärztin. Mit der Ausrede, wieder ins Büro zu müssen wegen wichtiger Meetings, verabschiedet er sich eilig von mir.
„Melde dich, wenn irgendwas ist“, ruft er noch über die Schulter und verlässt fluchtartig die Station. Magnus sind die Menschen in der Psychiatrie nicht geheuer, was mir
eigentlich vollkommen unverständlich ist.
Ich beantworte alle Fragen der Ärztin und bekomme dann mein Zimmer zugewiesen. In dem Raum befinden sich zwei
Betten, wovon ich das am Fenster Stehende für mich mit Bettwäsche beziehe. Das zweite Bett ist nicht belegt, und ich bin froh, dass ich erst mal allein bin. Es wird Zeit, dass
ich meinen Koffer auspackte. Die Waschutensilien lege ich in die von zwei Zimmern aus begehbare Waschecke, die sich, genau wie die Toilette, vier Patienten teilen. Ich habe
Reiseprospekte mitgebracht, die ich
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gleich durchstöbern will. Plötzlich
werde ich von einer Heulattacke heimgesucht. „Jetzt ist es also wieder soweit“, sage ich zu mir und schluchze in mein Taschentuch. „Was ist wieder so weit?“ Ich schrecke hoch,
weil ich nicht bemerkt habe, dass jemand ins Zimmer gekommen ist.
Eine gut gekleidete Frau steht vor mir mit roten Haaren und einem leuchtenden
Lippenstift. Auf ihrem Kopf trägt sie einen schwarzen Hut. Rote Pumps mit einem 10 cm Absatz machen sie noch größer, als sie ohnehin schon ist. Die Stimme kommt mir bekannt
vor.
„Donna, Herzchen, was ist mit dir? Wer hat dir was angetan? „Cecilia, du?“ „Na, da haben wir´s. Kaum lässt man dich mit diesem…diesem Ekel Magnus
allein, brichst du auch schon in Tränen aus.“ Die Situation ist so komisch, dass ich weine und lache zugleich. Cecilia setzt sich auf den Stuhl neben
mir.
„Ich hab mich auf einmal so allein gefühlt und gedacht…na, dass ich doch wieder Gaga bin.“ „Magnus, dieser Feigling. Lässt dich einfach im Stich.
Na warte, dem werden wir es heimzahlen, Donna.“ „Cecilia, du siehst toll aus, ich hab dich nur an der Stimme und an der Kleidung erkannt, die ich gekauft habe.“ „Donna, die
Schuhe, die du mir mitgebracht hast, die waren nicht so ganz mein Geschmack. Ich hab die hier in deinem Keller gefunden, zum Glück haben wir die gleiche
Größe.“
„Meine roten Pumps? Die hab ich gekauft, als ich noch in Magnus verliebt war.“ „Also vor hundert Jahren, Donna.“ Ich habe meinen Weinkrampf
endgültig überwunden dank Cecilias Erscheinen und ihren frechen Sprüchen. „Ab jetzt bin ich fast immer bei dir.“ „Warum fast, Cecilia?“ „Donna, Herzchen, ich hab noch was mit
deinem Albtraumgatten zu regeln, und wenn er nach Hause kommt, muss ich doch in der Ecke stehen. Ich bin ziemlich
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wütend auf ihn, wegen der Sache mit dem Müllcontainer. Oh, du hast schon Reisekataloge mitgebracht.“ Cecilia blättert in einem
Heft über Kreuzfahrten herum. „Hast du schon etwas gefunden, Kleines?“ „Nein, ich wollte gerade reinschauen.“ „Kann ich dich jetzt wieder allein lassen, Donna? Bist du bereit
für das Kuckucksnest?“ „Ich glaube schon, Cecilia.“
„Gut, meine Papiere hab ich, bei der Behörde hab ich mich angemeldet, jetzt besorge ich das Geld,
und du wirst mir schön verrückt bleiben und die Reisepläne machen. Morgen früh, Donna, bin ich wieder hier. Zuerst muss ich mit dem himmlischen Magnus frühstücken.“ Cecilia
hat ein breites Grinsen im Gesicht, und ich ahne bereits, was sie vorhat. „Cecilia, Magnus wirst du nie herumkriegen, der hat genug Stress mit mir und den Charme eines
Holzhammers.“ „Warten wir es ab, Donna. Hab ich denn deinen Segen? Es ist für einen guten Zweck.“ „Du wirst dir die Zähne ausbeißen,
Cecilia.“
„Mach dir keine Sorgen, Dani. Wir haben alles unter Kontrolle.“ Meine Tochter ist immer noch fix und fertig und würde am
liebsten sofort zu mir in die Klinik kommen. „Mami, wen meinst du mit wir, ist Papa auch da?“ „Oh, nein. Er musste wieder zurück ins Büro, hat er jedenfalls gesagt.“ „Glaubst
du ihm nicht, Mami?“ „Oh, natürlich glaube ich ihm, Kind.“ „Mami, wie lange musst du dieses Mal dort bleiben? Ich wäre so gern bei dir. Aber ich hab Nachtdienst in der
Ambulanz.“
„Cecilia meint, das wird nur ein kurzer Zwischenstopp. Stell dir vor, Dani, sie mag Silver und kann mit ihm sprechen. Vielleicht wird noch
mal was aus den beiden.“ Dani antwortet nicht mehr. Ich höre nur am anderen Ende der Leitung Frederik reden, Danis Freund. „Danilein, weinst du schon wieder?“, versuche ich
Kontakt zu ihr
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aufzunehmen. „Frau Felten, Hallo.“ „Hallo Frederik“,
antworte ich höflich. „Warum sagt Dani nichts, Frederik?“ „Sie ist ins Bad gelaufen, weil sie plötzlich kotz…ich meine, weil sie sich übergeben musste. Sie ist total
unglücklich und hat eine Mordsangst um sie, Frau Felten.“
„Frederik, sag ihr, dass ich hier in den besten Händen bin und…dass Cecilia sich rührend um
mich kümmert.“ „Sie wird mir ins Gesicht springen, wenn ich ihr das sage, Frau Felten.“ „Ach so, natürlich. Sag am besten… sag ihr am besten gar nichts und nimm sie in die
Arme, gib ihr einen Kuss, na, du weißt schon, und tröste sie, Frederik.“ „Werde ich machen, Frau Felten, schönen Abend noch, äh, Quatsch, gute Besserung wollte ich
sagen.“
„So, du wirst Donna nicht mehr in was reinquatschen.“ Magnus schlägt sich vor die Stirn. „Oh, nein, ich rede mit Cecilia.
Jetzt hat Donna mich mit ihrer Spinnerei auch schon angesteckt“, flucht er. Er schaut auf seine Armbanduhr. „8.00 Uhr, gleich müsste die Müllabfuhr
kommen.“
Ohne mit der Wimper zu zucken hat Magnus Cecilia in zwei Teile zerlegt und in die Restmülltonne geworfen. Jetzt sitzt er zufrieden am
Frühstückstisch und liest den Kölner Stadtanzeiger.
„Meine Güte, was für ein Gestank. Dieser Grobian, dieses Monster, dieses
sexy Ungeheuer.“ Cecilia öffnet den Deckel der Mülltonne. Vorsichtig späht sie zum Küchenfenster. Dann stellt sie zuerst ihr Unterteil vor die Tonne, um mit einer kurzen
geschickten Bewegung ihr Oberteil wieder aufzustecken. Sie dreht ihre Hüften hin und her und macht ein paar Rumpfbeugen.
„So, funktioniert alles wieder.
Dieser unverschämte Kerl. Na warte, Magnus.“ Cecilia befreit sich noch von einigen
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Bananenschalen und Kaffeefiltern, die Magnus ihr noch auf den Kopf geworfen hat, als auch schon der Wagen der Stadtreinigung
um die Ecke braust. Immer das Küchenfenster im Auge behaltend schleicht sich Cecilia durch das Gartentor auf die Terrasse. Sie schaut zu, wie die Männer den Behälter auf den
Wagen laden, ihn ausleeren und dann wieder auf den Bürgersteig stellen. Dann fährt der Wagen weiter zum nächsten Haus. Cecilia wartet noch einen Moment ab. Gleich müsste
Magnus erscheinen und die Mülltonne so wie jeden Dienstag an ihren Platz zurückstellen.
Nach zwei Minuten kommt er aus dem Haus. Cecilia nutzt die
Gelegenheit dazu, durch die Eingangstür zu schlüpfen und sich in der Vorratskammer zu verstecken. Magnus hat noch einen zufriedenen Blick in den geleerten Behälter geworfen.
„Na also, dieses Problem wäre gelöst.“ Ein Lied pfeifend nimmt er seine Jacke und seinen Pilotenkoffer und fährt zur Arbeit.
„Und
dann hab ich erst mal geduscht, Donna. Zu was dieser Mann fähig ist, unglaublich“, regt sich Cecilia über Magnus auf. „Beinahe wäre ich in der Müllpresse gelandet.“ „Ist ja
nochmal gut gegangen, Cecilia.“
„Donna, wenn ich es mir genau überlege, hat uns eigentlich nichts Besseres passieren können. Ich muss nicht mehr
pünktlich in der Ecke stehen, wenn er kommt. Ich freue mich schon auf den Abend mit ihm, Donna.“ „Was genau hast du vor, Cecilia?“, möchte ich wissen. „Das bleibt noch mein
Geheimnis, aber Magnus wird nicht mehr Magnus sein, wenn wir mit ihm fertig sind. Er wird uns aus der Hand fressen.“ „Wenn du dich da nicht mal täuscht, Cecilia. Magnus gibt
nicht so schnell auf. Hier hast du meinen Schlüssel, Cecilia.
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Cecilia, was
ich dich noch fragen wollte. Wie schaffst du es, am Schwesternzimmer vorbeizukommen? Die passen doch höllisch auf, wer hier so ein und ausgeht.“ „Mal bin ich deine Schwester,
mal bin ich Magnus Schwester. Das geht, wenn ich die Perücken wechsle und die Kleidung.“
„Aber wir haben beide keine Schwester, Cecilia.“ „Das müssen
wir dem Personal hier ja nicht unbedingt auf die Nase binden.“ Cecilia reibt sich vergnügt die Hände. „Und ab jetzt, Herzchen, keine Tränen mehr.“
Mit
einem fröhlichen „Magnus, mein Adonis, ich komme!“, rauscht sie zur Tür hinaus.
„Das mit Donna tut mir sehr leid, Magnus.“ „Ich
verstehe das auch nicht, warum die Symptome wieder so plötzlich auftreten.“ Magnus und Schnellinger schieben ihre Golfkarren bis zum nächsten Abschlag. Schnellinger ist Magnus
engster Mitarbeiter bei „Satellite“.
„Es wird Wochen dauern, bis sie wieder normal wird, wenn überhaupt. Dr. Kant hat mir einen Schock verpasst.
Vielleicht wird sie für immer in der Geschlossenen bleiben. „Mein Gott. Magnus, das sind ja furchtbare Aussichten.“
Schnellinger hat echtes Mitleid mit
Magnus, obwohl es eher Donna zustehen würde. „Weißt du was, Magnus, Bodo, Heiner und ich wollen heute einen Männerabend machen. Hast du nicht Lust, mitzukommen?“ „Ich muss
zuerst zu Donna heute Abend, wenigstens mal ganz kurz. Wann dachtet ihr denn…?“ „Wie wär`s um 21.00 Uhr?“ „Und wohin?“ „Ins Separee Rouge", schlägt Schnellinger vor.
Magnus ist nicht sicher, ob es sich geziemt, sich in einer Bar zu amüsieren, während sich seine Frau in der Psychiatrie aufhält. „Ich überleg`s mir
noch, Schnellinger. Ich ruf dich noch an heute Abend.“ „Na, meine Herren, wird das noch
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mal was mit ihnen?“ Magnus fährt herum, weil ihn die Stimme hinter sich erschreckt hat.“ „Ich warte schon eine viertel Stunde
darauf, dass es weitergeht.“ Eine auffallend große, rothaarige Frau mit einem Trolly schiebt sich in die Mitte der beiden Männer. Sie hat ein entzückendes Lächeln aufgesetzt,
auf das Schnellinger sofort anzuspringen scheint. „Ganz allein auf dem Platz, junge Frau?“, probiert Schnellinger sich einzuschleimen.“ „Nun, so allein bin ich ja
nicht.“
Cecilia positioniert sich jetzt ganz dicht neben Magnus und stemmt die mit weißen Baumwollhandschuhen bestückten Hände in ihre schlanke Taille.
Magnus Blick fällt auf die Golfausrüstung, und er hätte schwören können, dass es die ist, die er seinerzeit mal für Donna gekauft hat. Auch die Kleidung könnte die von Donna
sein. Magnus, du spinnst schon genauso herum, wie sie, du musst dich zusammennehmen, sonst…
Cecilia hat damit gerechnet, dass Magnus ihr Erscheinen nicht
ganz geheuer ist. „Ist was nicht in Ordnung, Herr…?“ „Magnus, mein Name ist Magnus Felten“, beeilt Magnus sich mit seiner Antwort. „Oh, es ist nichts, ich dachte nur für einen
Moment, die Ausrüstung…“ „Ach so, die Ausrüstung, die hab ich mir von einer Freundin ausgeliehen. Kostet ja ein Schweinegeld, das Zeug.“
Cecilia hat
sich jetzt so nah an Magnus herangewagt, dass er ihren Pfefferminzatem wahrnehmen kann, und ihm ihr nach Orient duftendes Parfüm in die Nase steigt. Schnellinger reagiert, wie
Cecilia es erhofft hat und erliegt als erster ihren weiblichen Waffen. Unter Cecilias Poloshirt zeichnet sich der von Donna gekaufte Push-Up BH deutlich ab und verleiht ihr
eine ansehnliche Busengröße.
Schnellinger leckt sich über die Lippen, und Magnus bleibt an Cecilias blauen Augen hängen. Ich hab sie schon mal gesehen,
denkt er, und er versucht sich zu erinnern. „Darf ich sie vielleicht heute Abend einladen zu einem netten
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Kennenlern-Umtrunk im Separee Rouge?“, wagt Schnellinger einen ersten Vorstoß. Magnus ist entsetzt über das Tempo seines
Kollegen. Naja, umsonst hat er seinen Namen wohl nicht.
Cecilia setzt einen verheißungsvollen Augenaufschlag ein und flirtet mit Magnus, was das Zeug
hält. Doch Magnus ist es nicht mehr gewohnt, mit Frauen eines solchen Kalibers etwas anzufangen. Seit Jahren hat ihn seine Arbeit und seine Familie fest im Griff. Für eine
Affäre hat ihm einfach die Zeit und die Lust gefehlt. Ständig fühlt er sich ausgepowert und am Rande des Burnout.
„Angenommen. Aber nur, wenn sie auch
mitkommen!“ Cecilia ist Magnus jetzt so nah, dass es nur eine winzige Bewegung nach vorne braucht, um Magnus auf den Mund zu küssen. Ihre blauen Augen schauen ihn eindringlich
an. „Äh, mal sehen“, redet er sich heraus. „Eigentlich hab ich gar keine Zeit.“
„Komm schon, Magnus, sei kein Spielverderber“, drängt Schnellinger ihn,
weil er Angst hat, dass Cecilia ihre Zusage zurücknehmen könnte. Cecilias Busen berührt Magnus Schulter, und er macht wie elektrisiert einen Schritt zurück.
Hm, ein schwieriger Fall, denkt sie. Arme Donna, so kalt wie ein Fisch, der Mann. „Also gut.“ „Na prima. Ich mein, so Leid mir Donna tut, aber deswegen musst du
nicht Trübsal blasen, Magnus.“ Schnellinger und Magnus lassen Cecilia den Vortritt und beobachten ihre auffallend fließenden Bewegungen.
„Das wird ein
heißer Abend, Magnus“, freut sich Schnellinger. Cecilia beeilt sich mit ihrer Golfrunde. Sie bestellt sich ein Taxi, damit sie rechtzeitig vor Magnus wieder zu Hause ist und
sich für den Abend zurechtmachen kann.
Als Magnus nach Hause kommt, zieht es ihn als erstes in den Keller, wo er die
Golfausrüstung von Donna vermutet. Nur ein
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einziges Mal ist sie mit ihm
auf dem Golfplatz gewesen. Seit Jahren verstaubten nun die nicht gerade billigen Schläger in dem chaotischen Kellerraum. Magnus umkreist den Trolly, doch ihm fällt nichts
Außergewöhnliches daran auf. Er stolpert über Donnas Golfschuhe. „Verdammt Donna, warum kannst du nicht ein bisschen Ordnung halten?“
Er schließt den
Schrank auf, in dem Winterkleidung und Donnas Golfhosen, Blusen und Pullis untergebracht sind. Hm. Alles da. Soweit ich sehe, fehlt nichts. „Magnus, du bist überarbeitet, du
musst dir dringend Ruhe gönnen oder Urlaub.“
Cecilia wartet in der Vorratskammer, bis Magnus zur Klinik fährt. Dann kümmert sie sich um die Reisekasse.
„Ich muss Einblick in seine Sparbücher haben, Silver.“ Cecilia durchsucht die weißen Ordner in Magnus Arbeitszimmer, doch sie findet keine Auszüge oder
Sparbücher. „Da wirst du auch nichts finden, Cecilia. Er hat ein Bankschließfach, wo er alles sicher verstaut hat“, antwortet Silver. „Für die Bank ist die Zeit zu knapp. Hast
du eine Ahnung, wie flüssig er ist?“ „Nun, eigentlich müsste ich diskret sein, Cecilia. Das hier ist eine Vertrauensstellung.“
„Silver, es geht um
Donna. Seit Jahren hat sie keine Reise mehr gemacht. Magnus hat sie einfach vergessen, er hat keinen Blick mehr für sie. Sie verdient mehr, als dieses Leben. Außerdem gehört
ihr die Hälfte und sie hat jahrelang mitverdient.“
„Cecilia, es überrascht mich, wie menschlich du denkst. Also gut, er hat locker 25000 Euro auf einem
Konto, über das er jederzeit verfügen kann.“ „Silver, du bist ein Schatz.“ „Hoffentlich vergisst du das nicht, wenn du heute Abend mit Magnus deinen Spaß hast.“
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„Magnus, kannst du mir mein Malzeug mitbringen, Cecilia war noch nicht hier, und sie
hatte den Auftrag…“ „Sag es nicht, Donna, sag es nicht, bitte…“ „Mir meinen Block und die Stifte mitzubringen.“ Ich muss an mich halten, um nicht laut loszulachen über Magnus
verzweifelte Geste. Er rauft sich die Haare. „Donatella, ich muss dir jetzt was sagen. Ich hoffe, dass du dann endlich vernünftig wirst.“
Oha, wenn
Magnus Donatella sagt, dann wird es dramatisch. „Ist jemand gestorben, Magnus, oder vielleicht krank, ist es was Schlimmes mit Dani?“ „Nein, nein, reg dich nicht auf. Es ist…
ich…ich hab Cecilia, ich hab die Schaufensterpuppe…“ „Du hast sie lebendig erlebt, richtig? Aber das sag ich doch die ganze Zeit, Magnus. Glaubst du mir jetzt?“
Magnus wird blass und ganz plötzlich irgendwie auch traurig darüber, dass es Donna so dermaßen an der Psyche erwischt hat. Dann sitzt er ihr nur ruhig gegenüber,
ergriffen und ratlos. „Bekommst du Medikamente, Donna?“ „Oh, ja, jede Menge, Magnus. Die machen mich müde.“ Ich bekomme fast ein wenig Mitleid mit Magnus. Ich habe geglaubt,
dass es ihn überhaupt nicht interessiert, wie es um meine Gesundheit steht.
„Ich gehe dann jetzt, Donna, ruf an, wenn was ist“, sagt er mit hängenden
Ohren. Er schaut nochmal zu mir zurück, doch er verlässt mich, ohne mich zu umarmen oder zu küssen.
Das Publikum im Separee Rouge
ist vorwiegend männlich. Lediglich hinter der Theke macht Angel ihren Gästen die Getränke zurecht. Auf der Bühne zeigt Kiara nur mit winzigen Kappen auf ihren Brüsten und
einem dreieckigen Stofffetzen als Slip ihre hohe Kunst an der Stange.
Ihre Pobacken liegen frei und
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lediglich eine Zentimeter schmale Kordel trennt beide voneinander ab. Schnellinger, Heiner und Bodo beschäftigen sich bereits
mit zwei hübschen Blondinen und einer schwarzhaarigen Schönheit. Magnus trifft erst um 22.00 Uhr in der Bar ein und setzt sich zu der sich mit Sekt vergnügenden Gruppe. Er ist
noch immer etwas niedergeschlagen von dem Besuch bei Donna.
„Magnus, endlich. Ich habe schon gedacht, dass du nicht mehr kommst“, begrüßt Schnellinger
ihn überschwänglich. Magnus bestellt sich einen Whiskey, und sein Kollege stellt ihm die Damen vor. Sein Glas vor sich hin und herdrehend beobachtet Magnus die Show im roten
Licht. Schnellingers Geschwätz mit einer der Blondinen wiedert ihn ein wenig an, und er hat bereits nach zehn Minuten betreut, überhaupt hierher gekommen zu sein.
„Donnerlittchen.“ Schnellingers gieriger Blick geht zur Tür. Fast schwebend kommt eine große Rothaarige auf Magnus zu. Erst als sie vor ihm steht, erkennt er die
Golfplatzbekanntschaft.
„Ich hab mich noch gar nicht vorgestellt“, säuselt sie süßlich in die Runde. „Ich bin Ricarda.“ Sie gibt Magnus, der sofort
aufgesprungen ist, die Hand. Das schwarze Cocktailkleid sitzt perfekt an ihrer schmalen Figur. Es reicht bis auf den Boden und hat keinen Ausschnitt. Außerdem trägt sie an den
Armen ein langärmeliges Bolerojäckchen, damit man ihre Bemalung nicht sieht. Doch auch ohne viel Haut freizugeben wirkt Ricarda anziehend und geheimnisvoll. Schnellinger
verschlingt sie mit seinen Augen, und Magnus bietet ihr einen Platz neben sich an. Ihm wird jetzt ein bisschen warm, doch er kann nicht sagen, ob es vom Alkohol kommt oder von
der aufreizenden Person neben
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sich. Er bestellt ihr etwas zu trinken.
Magnus Arbeitskollegen gehen mit den Frauen auf die Tanzfläche, danach verschwinden sie mit ihnen durch eine Tür in einen abgetrennten Bereich. Magnus ist unsicher und weiß
nicht so recht, was er mit Ricarda noch reden soll. Er bestellt sich drei weitere Whiskeys, die ihm stark in den Kopf steigen, und er wird endlich lockerer, sodass Cecilia ihn
zu einem Tanz überreden kann. Sie setzt alle weiblichen Reize ein, um Magnus näher kommen zu können. Nach zwei weiteren hochprozentigen Getränken flüstert sie ihm ein paar
zärtliche Worte ins Ohr. „Gehen wir zu dir, Magnus?“ „Ich kann aber nicht mehr fahren“, lallt Magnus etwas verlegen. „Kein, Problem, Chérie, gib mir den
Autoschlüssel.“
Bereitwillig rückt er den Schlüssel heraus. Cecilia küsst Magnus auf die Wange. Sie begleicht die Rechnung und führt ihn am Arm zu
seinem Wagen. „Und, welche Adresse, Süßer?“ Magnus schafft es noch so eben, die Straße zu nennen, dann nickt er auf dem Sitz ein. Cecilia hat große Mühe, ihn ins Haus zu
bringen. „Donna, ich hab Cecilia umgebracht, kannst du mir verzeihen?“
Cecilia muss lachen über Magnus reumütiges Bekenntnis. Dann zieht sie ihn
komplett aus, nicht ohne ihn noch einmal bei Licht zu begutachten. „Du sexy Monster. Donna hat wahnsinniges Glück mit dir. Wenn du nicht so ein Stinktier wärst, Magnus.“
Magnus schnarcht bereits, und Cecilia deckt ihn mit dem Oberbett sorgsam zu. Sie zieht sich aus und legt sich neben ihn ins Bett. Magnus dreht sich zu
ihr um und greift mit dem Arm um ihre schlanke Taille.
„Verzeih mir, Donna, lass es mich ein bisschen genießen mit ihm“, sagt sie leise in die
Dunkelheit hinein. Sie greift mit ihrer Hand nach hinten unter Magnus Decke, dann schläft sie mit einem wohligen Seufzer auf den Lippen neben Magnus ein.
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Es ist bereits 8.00 Uhr, als Magnus erwacht und auf seinen Wecker schaut. „Ach du
liebes bisschen, Donna, warum hast du mich nicht gewe… geweckt, Donna? Oh, Scheiße, ich hab verpennt. Was…wer? Magnus sitzt auf der Bettkante und hält sich den Kopf. „Was hab
ich gemacht gestern, Gott ist mir schwindelig.“
„Soll ich dir ein Aspirin bringen, Chérie?“ „Nein, lass mal Don…"Magnus hört mitten im Satz auf zu
reden. „Ricarda? Was machst du in meinem Bett?“ Magnus ist entsetzt, als er die rothaarige Frau neben sich erblickt. „Wonach sieht es denn aus, Magnus?“ „Wonach es…?“ Er steht
auf und zieht blitzartig das Oberbett vor seine nackten Tatsachen. „Warum plötzlich so schüchtern, Magnus?“ „Hast du…hast du mich ausgezogen, Ricarda?“ „Wir haben uns
ausgezogen, Magnus. Erinnerst du dich?" „Nein, kein Stück. Sag, dass das nicht wahr ist“, fleht er Cecilia an.
„Haben wir…?“ „Oh ja, Magnus, und wie wir
haben. Du warst bombastisch“, schwärmt Cecilia übertrieben. „Du hast mich sowas von vernascht, nachdem du mir im Bett von deiner Firma erzählt hast. Streng vertraulich, hast
du zu mir gesagt. Und sag bloß nichts zu meiner Frau, hast du gesagt. Dabei kenne ich sie gar nicht, Magnus.“
„Aber ich kann mich an nichts erinnern,
Ricarda. Oh Mann, mir ist so schlecht.“ Magnus lässt das Oberbett fallen und läuft die Kellertreppe hinauf ins Bad. „Mist, Donna darf das nicht erfahren“, redet er mit sich im
Spiegel. Er nimmt ein Aspirin aus dem Medikamentenschrank und löst es in einem Glas Wasser auf.
„Magnus, du hast ja eine wahnsinnige Ausdauer.“ Cecilia
steht auf einmal neben Magnus im Bad, bekleidet mit Donnas
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Bademantel.
Ihre Hände hat sie in den großen Taschen vergraben. Magnus greift sich ein Handtuch und bindet es sich um. „Ricarda, niemand darf etwas von uns erfahren, hörst du?“ Magnus
sieht Ricarda in die blauen Augen. „Irgendwo hab ich dich schon gesehen, Ricarda“, überlegt Magnus laut. „Nun, wir haben uns heute Nacht gesehen, du hast mir tief und
begehrlich in die Augen gesehen, als wir zum dritten Mal miteinander gebu…“
„Schluss, Ricarda, es ist nichts geschehen, hörst du, nichts.“ Magnus wird
regelrecht von Panik ergriffen. Dann sagt er ganz ruhig: „Ricarda, ich gebe dir Geld, soviel du willst, aber vergiss, was zwischen uns war, und vergiss, was ich dir…was ich
dir von der Firma erzählt habe.“
Na endlich, jetzt hab ich ihn soweit, Magnus der Feigling. Dann wollen wir mal verhandeln. „Soviel ich will, Magnus?“
„Soviel du willst, Ricarda. Sag eine Summe, ich stelle dir einen Scheck aus, und dann verlässt du für immer mein Leben. „10000 Euro.“ „10000…bist du noch ganz bei Trost,
Ricarda? Das grenzt an Erpressung“, stellt Magnus zornig fest. „Oh, nein. Das ist eine freiwillige Leistung. Ist dir diese Nacht das nicht wert, Magnus?“ „Ich hab davon ja
nichts mitbekommen?“ „Nicht? Dann hole ich mal schnell mein Handy, Magnus. Du wolltest unbedingt, dass ich uns zusammen fotografiere, wie wir…"
„Okay,
Okay, du löscht die Fotos, Ricarda, und ich schreibe dir den Scheck aus.“ „Gut, Magnus mein Tiger, ich mach Frühstück mit viel Eiern und Speck, das gibt dir neue Kraft für…“
„Ich will nichts essen, ich will nur, dass du gehst. Ist das klar, Ricarda?“ „Ach, du bist so dominant, so ein Mann, der weiß, wie man mit Frauen umgeht…rrrrrr.“ Cecilia
schmiegt sich an Magnus und schnurrt wie eine zufriedene Katze. Magnus driftet zur Seite und nimmt augenblicklich Abstand. „Zieh dich an und komm mit nach Oben“, kommandiert
er Cecilia im
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Befehlston, den schon Donna an ihm nicht mag. „Alles was du
willst Chérie, du machst mich wild, wenn du so grob bist.“ Magnus schüttelt den Kopf. „Ricarda, ach, komm einfach mit“, bittet er sie nochmal etwas
sanfter.
Nur mit dem Handtuch bekleidet jagt Magnus nach oben. Die Klingel an der Haustür hält ihn jedoch von seinem Vorhaben ab. „Wer ist das jetzt?
Verflucht…“ Magnus will gerade öffnen, als es erneut schellt, dann wird plötzlich die Haustür aufgeschlossen, und Daniela steht mit Frederik vor Magnus. „Dani Schätzchen, was
machst du denn hier?“ Magnus ist vollkommen verwirrt. „Papa, bist du gerade aufgestanden?“ „Ja, Äh, ich hab verschlafen und war gerade unter der Dusche. Aber was wollt ihr
schon hier, so früh?“, will er von seiner Tochter wissen. „Können wir auch ganz reinkommen, Papa?“
Dani drängt sich mit Frederik in den Flur, weil
Magnus noch keine Anstalten gemacht hat, sie hereinzubitten. Sie legt einen Blumenstrauß auf die Anrichte im Flur ab. „Tag, Herr Felten.“ Frederik reicht Magnus die Hand.
„Papa, aber du bist ja trocken, hatte die Dusche kein Wasser?“, versucht Dani einen Scherz mit Magnus. „Ich hab es nicht ausgehalten, ich muss unbedingt zu Mami. Ich bin vom
Nachtdienst aus gleich mit Fredi hergefahren.“
„Herr Felten, wer hat denn geklingelt?“ Magnus fährt entsetzt herum. Cecilia steht da mit einem
Kopftuch, einer langen Hose und einer Schürze bekleidet. Sie trägt einen Pulli von Magnus, der gerade griffbereit lag. In der Hand hält sie einen Staubmopp und die weißen
Handschuhe verbergen ihren Eierschalentaint.
„Oh, Besuch. Sie sind sicher Dani, nicht wahr?“, fragt sie freundlich und überrascht, „und sie Fredi.
Hallo. Ich bin Ricarda, die Putzhilfe.“ Cecilia trägt noch immer die rote Perücke und ist perfekt geschminkt. „Putzhilfe, davon hat Mami mir gar nichts erzählt, Papa.“
Dani
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reicht Cecilia ebenfalls die Hand und mustert sie argwöhnisch. „Ich
bin ja auch erst seit Gestern hier, kurzfristig, sozusagen, nicht wahr Mag…Herr Felten.“ Cecilia lächelt Magnus an. „Ja, kurzfristig“, wiederholt Magnus nervös. „Dani, ich
muss gleich zur Arbeit, mach du bitte für euch Frühstück, ich ziehe mich erst mal an. Und sie, Frau…“ „Ricarda sagen alle meine Freunde zu mir, Herr Felten.“ „Ja, sie kommen
mal mit mir, damit wir das Finanzielle regeln können.“ „Nichts lieber als das, Mag… Herr Felten“, verbessert sich Cecilia. Dann folgt sie Magnus in den
Keller.
Er zieht sie von der Treppe weg und greift ihren Arm. „Kein weiteres Wort mehr zu Dani, klar? Warten sie in meinem Arbeitszimmer auf mich“,
befiehlt er Cecilia wieder in harschem Ton. „Alles klar, mein Tiger, rrrrrr“, ärgert Cecilia ihn erneut und haucht ihm einen Kuss auf die Wange. „Jetzt lassen sie das bitte“,
giftet er sie an. „Ich warte auf dich, Magnus“, verspricht sie ihm süß und geht aufreizend in den oberen Stock.
Als Magnus ins Arbeitszimmer kommt,
steht Cecilia vor Silver und staubt seinen kahlen Kopf mit dem Wedel ab. „Er war einfach umwerfend, diese Nacht werde ich niemals vergessen“, betont sie entzückt, damit es
Magnus auch mitbekommt.
„Dani Schätzchen, ich komme gleich“, ruft er seiner Tochter zu. „So, Ricarda. Ich brauche noch ihren Nachnamen.“ „Santini,
Ricarda Santini, Magnus.“ Magnus greift zur Schreibtischschublade. Er nimmt einen Schlüssel heraus. Dann schließt er einen Büroschrank auf und nimmt einen Block Schecks
heraus. Magnus trägt zähneknirschend und Ricarda anblickend die Summe ein, die sie ihm genannt hat und überreicht ihr das Papier. „Dass wir uns verstanden haben, Ricarda.
Jetzt lösch die Fotos und dann raus aus meinem Leben und auf Nimmerwiedersehen“, bläut er ihr
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unmissverständlich ein. „Wirklich schade, Magnus. Deine Donna kann sich glücklich schätzen, dich zu haben“, schmiert sie ihm
noch ein wenig Honig ums Maul und tippt auf ihrem Handy herum. „So, gelöscht, Chèrie“, bestätigt sie ihm seine Forderung.
„Ich mach hier eben noch
sauber, dann siehst du mich nicht wieder, Magnus mein Tiger.“ „Also, ich muss jetzt los. Wenn ich nach Hause komme, will ich dich hier nicht mehr sehen.“ Magnus schaut Cecilia
noch einmal von Oben bis Unten an, dann sagt er leise zu ihr: „Du bist verdammt hübsch, und ich hab dich schon mal gesehen. Wenn ich nur wüsste, wo.“
Magnus streicht ihr zu Cecilias Erstaunen über die Wange. So eine Vertraulichkeit hätte sie von ihm niemals erwartet. Dann gibt er ihr einen Klaps auf den Po und wendet sich
seiner Tochter und Fredi zu.
„Glaubst du das mit der Putzfrau, Fredi?“ Dani hat ihnen Kaffee gemacht und den Frühstückstisch
gedeckt. „Es ist besser, wir glauben es ihm, Dani. Deiner Mutter würde es wahrscheinlich das Herz brechen, wenn wir es anzweifeln, gerade jetzt, in dieser Situation.“ „Na gut.
Ich werde ihn trotzdem darauf ansprechen.“
„Ich wollte deine Mutter damit überraschen“, rechtfertigt sich Magnus anschließend
vor seiner Tochter. „Musste es denn gleich ein…ein Model sein? Gibt es keine…keine normale Frau, die du einstellen kannst?“ „Was hast du gegen gut aussehende Frauen
einzuwenden, Dani Schätzchen? Sie kommt doch nur, wenn ich nicht zu Hause bin. Und überhaupt, was denkst du von mir?“ „Von dir nichts, Papa. Aber von ihr“, erwidert Dani
flüsternd und auf Cecilia deutend, die gerade an der Küche vorbei ins Wohnzimmer geht. Dani steht auf, um ihr zu folgen. Nach ein paar Sekunden steht sie wutentbrannt vor
Magnus. „Wo ist
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Cecilia?“, fragt sie in einem dominanten Ton, den sie von
ihrem Vater geerbt hat. „Äh, was meinst du, Dani Schätzchen?“ „Was ich meine? Ich meine Mamas Schaufensterpuppe, die sie mit viel Liebe angemalt hat.“ Magnus hat nicht mit
solch einer heftigen Reaktion von Dani gerechnet. „Die hab ich…die hab ich…entsorgt“, entgegnet Magnus kleinlaut. „Du hast was?“ Danis Gesicht verzieht sich vor Empörung, und
sie bekommt Ähnlichkeit mit einem feuerspeienden Drachen. „Aber warum? Und wo?“ „Na, im Restmüll“, anwortet er wahrheitsgemäß.“
„Aber wie kannst du nur,
Papa. Sie hat Cecilia geliebt.“ Dani steht noch immer mit in die Hüften gestemmte Arme vor Magnus. „Und sie hat mit ihr gesprochen, Dani. Und Cecilia hat Kaffee gekocht, hat
deine Mutter sich eingebildet. Sie ist nicht gut für sie, verstehst du das nicht?“
Dani wird wieder ruhiger und setzt sich zu Magnus und Fredi an den
Küchentisch. „Hast du es ihr schon gesagt?“ „Ich konnte es nicht, Dani Schätzchen.“ Magnus schaut schuldbewusst seine Tochter an. „Heute will ich es ihr sagen“, verspricht er
ihr. „Aber jetzt muss ich zur Arbeit. Grüßt sie von mir, ja, und sag ihr, dass ich heute Abend zu ihr komme.“
Cecilia hat die ganze Diskussion im
Wohnzimmer mit angehört. Als Magnus zur Haustür geht, wirft sie ihm noch einen Handkuss und ein verschwörerisches Lächeln zu. Von den Ereignissen ziemlich angegriffen verlässt
Magnus das Haus und hofft, dass er Ricarda nie wieder begegnen wird.
„Wenn ich mich nur an die Stunden mit ihr erinnern könnte.“
„Und ihr habt die ganze Nacht zusammen…? Mensch, Magnus. Das ist bewundernswert. Da hast du das große Los gezogen. Triffst du sie wieder?“ „Bist du noch gescheit,
Schnellinger?
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Ich…ich bin verheiratet und meine Frau ist nicht ganz
gesund.“ Magnus vermeidet es tunlichst, Schnellinger noch weitere Einzelheiten zu stecken, denn er traut dem Großkotz zu, dass er die Details des gestrigen Abends in der
ganzen Firma verbreitet. Als Abteilungsleiter hat Magnus eine gewisse Vorbildfunktion, die schon mit der Tatsache, dass er mit Schnellinger und den Kollegen in einer Bar war,
angekratzt sein könnte. Amerikaner sind in dieser Beziehung etwas prüde und billigen solches Verhalten in der Regel überhaupt nicht. Wenn Schnellinger bloß die Schnauze hält,
wünscht sich Magnus inständig.
In der Mittagszeit erhält Magnus einen Anruf von Dani. „Ricarda hat den Job geschmissen, Papa. Ich
soll dir ausrichten, dass es nicht an dir liegt. Sie hat eine Zusage von einer Modelagentur bekommen und wird bald in der Modebranche arbeiten.“
„Jammerschade“, ist Magnus Antwort auf diese Nachricht. Magnus ist erleichtert. Ihn wurmt es zwar immer noch, dass ihn seine Unvorsichtigkeit so viel Geld gekostet hat,
andererseits ist er froh darüber, dass Ricarda eine so plausible Ausrede eingefallen ist und sie sich somit endgültig aus seiner Welt wieder verabschiedet hat.
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„So, Donna. Es kann losgehen. Ich hab schon ein Zimmer in einer kleinen Pension für uns
reserviert. Von dort aus buchen wir unsere Reise, Okay? Sachen gepackt? Gut, ich lenke die Schwestern ab, und du verschwindest durch die Stationstür. Warte unter dem Torbogen
auf mich. Wir bestellen uns ein Taxi und lassen uns in der Stadt absetzen, dann fahren wir mit der Bahn weiter zu unserem Versteck. Alles klar soweit, Donna,
Herzchen?“
„Ja, bis dahin schon. Aber warum mit der Bahn weiter?“, möchte ich wissen. „Sie werden uns suchen, Donna. Magnus wird vielleicht sogar einen
Detektiv beauftragen. In unserer Unterkunft bekommst du meine rote Perücke auf. Die Pensionswirtin brauchte keine Namen, weil…ach, das ist ja jetzt egal, Donna.“ „Keinen
Ausweis, keinen Namen? Weshalb nicht, Cecilia? Bei dir muss man immer auf alles gefasst sein.“ „Naja…“ Cecilia ziert sich, mich über unser Domizil aufzuklären, doch ich lasse
nicht locker. „Entweder sagst du`s mir, oder wir vergessen die ganze Sache.“ „Herrje, es ist ein…ein Puff.“ „Cecilia, im…“ Ich bekomme Schnappatmung. „Was hast du denn, das
ist die ideale Tarnung, Donna. Niemand würde uns da vermuten, und wir müssen ja auch nicht dort arbeiten. So, und jetzt los, bevor deine Tochter hier
auftaucht.“
Ich frage mich gerade, ob ich nicht doch gänzlich von der Rolle bin und Cecilia nur aus meiner Fantasie heraus geboren ist. „Los, Donna,
berühre mich, ich weiß, was du schon wieder denkst.“ Cecilia zieht das Bündel Geldscheine aus ihrer Handtasche und wedelt damit vor meiner Nase herum. „Schau her, alles echt,
genau wie ich.“
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„10000 Euro, Cecilia, wie hast du ihm so viel Geld
abgeluchst?“ „Das möchtest du nicht hören, Donna.“ „Warum nicht?“ „Nun, dein Magnus hat so seine Reize, auch wenn er ein Stiesel und ein erbarmungsloses Monster sein kann.“
„Ich will die Geschichte hören, Cecilia, die ganze Geschichte“, beharre ich auf vollständige Informationen über Cecilias Husarenstück. „Gut, Herzchen, aber erst, wenn wir in
Sicherheit sind.“
„Wieso weg? Was soll das heißen?“ Der zweite Anruf von Dani macht Magnus fassungslos. „Das Zimmer ist leer,
ihre Sachen sind weg, und niemand in der Klinik hat was mitgekriegt. Papa, denkst du, dass sie ausgerissen ist? Oder vielleicht entführt wurde?“ Dani beginnt zu weinen. Im
Hintergrund redet Fredi beruhigend auf Dani ein.
„Entführt? Aber warum? Wir sind keine Millionäre und auch nicht berühmt, wer sollte ein Interesse an
deiner Mut…Ähm…an einer Entführung haben?“ „Ich mache mir große Sorgen. Sollen wir nicht die Polizei einschalten, Papa?“ „Nein, Dani, noch nicht. Ich komme zur Klinik. Bleib
wo du bist.“
„Ich muss kurz weg, Schnellinger. Es ist wichtig.“ Schnellinger hat Magnus Gespräch mitbekommen. Dass es um Donna
geht, braucht Magnus ihm nicht sagen. Was er gehört hat reicht schon aus, um die Firma mit einer neuen Klatschgeschichte zu versorgen. Lange kann es nicht mehr dauern, und
Magnus muss wegen privater Eskapaden seinen Posten an Schnellinger abtreten. Höhnisch grinsend verabredet er sich mit Heiner und Bodo zur Mittagspause in einem nahegelegen
Restaurant.
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Magnus ist aufgebracht und macht die Schwestern für das
Verschwinden von Donna verantwortlich. „Sie ist doch nicht zurechnungsfähig“, mault er die Stationsschwester Ilona an. „Sie sind dafür haftbar, wenn ihr etwas zustößt.“ „Herr
Felten, ihre Frau ist nicht auf der geschlossenen Abteilung. Zwar durfte sie noch nicht allein nach draußen, aber festbinden können wir sie nicht“, versucht die Schwester sich
zu rechtfertigen.
„Trotzdem, ich werde mich bei ihren Vorgesetzten beschweren“, fährt Magnus sie erneut an und droht ihr mit dem Zeigefinger. „Wie
konnte sie nur an ihnen vorbei kommen?“
Für die Schwestern sind Angehörige wie Magnus nichts Neues. Oft genug haben sie es mit Cholerikern wie ihm zu
tun. „Nun, kurz nachdem ihre Schwester gegangen ist, gab es einen Streit zwischen zwei Patientinnen, und wir mussten mit allen Kräften die Kampfhähne auseinander bringen.
„Moment, welche Schwester?“ „Na ihre, Herr Felten. Sie war einige Male hier.“ „Mein Vater hat keine Schwester“, mischt sich Dani jetzt verärgert ein. „Na, dann eben die
Schwester ihrer Mutter.“ „Meine Mutter hat nur einen Bruder, und der lebt in Amerika“, stellt Dani die Familienverhältnisse richtig. Ihre Augen funkeln vor
Wut.
Magnus übernimmt jetzt wieder das Kommando. „Ich möchte mit den beiden reden, die sich gezankt haben. Vielleicht besteht da eine Zusammenhang.“
„Bitte, wie sie wünschen“, gibt die Schwester nach. „Kommen sie mit.“
Schwester Ilona betritt nach kurzem Klopfen das Zimmer, in dem eine junge Frau
gerade dabei ist, einer anderen die Fingernägel zu lackieren. Sie schauen erstaunt auf, als sie Magnus mit in das Zimmer bringt. „Ich möchte allein mit ihnen reden.“ Magnus
Ton ist der eines unausstehlichen Chefs, und die Schwester verlässt unaufgeregt
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das Zimmer. „Guten Tag, die Damen.“ Magnus wird freundlicher und beobachtet die Gesichter der Frauen. Dann kommt er schnell
zur Sache. „Also, heute ist meine Frau aus der Klinik verschwunden. Sie hat die Gelegenheit genutzt, als die Schwestern sich mit ihrer Streiterei befassen mussten. Haben sie
irgendetwas damit zu tun?“
Die Frauen schauen sich an. „Bitte, ich verrate sie nicht, wenn sie mir sagen, was geschehen ist“, verspricht Magnus ihnen.
„Also gut. Aber kein Wort zu den Schwestern, ja?“
„Eintrittskarten für das James Blunt Konzert, dafür dass sie sich in die Haare
bekommen?“ „Ja, sogar VIP Karten für die erste Reihe und für ein Glas Sekt hinter der Bühne. Wir können ihn hautnah erleben, Fragen stellen. Wir sind total aufgeregt.“
„Und wer hat ihnen die Karten gegeben?“ „Eine große rothaarige, bildhübsche Frau.“ Magnus ist völlig konsterniert über die Informationen, die er gerade
bekommen hat. „Ich…ich danke ihnen. Sie müssen sehr überzeugend gewesen sein“, stellt er geistesabwesend fest.
Meine Schwester…rote Haare. Ricarda,
Ricarda steckt mit Donna unter einer Decke. Vielleicht ist sie sogar die Entfüh…Nein, das kann nicht sein. Magnus verlässt die Frauen, und langsam schleicht sich sogar ein
wenig Angst um Donna bei ihm ein. Sie ist einer Betrügerin auf den Leim gegangen, genau wie er. Und nun will Ricarda sicher noch mehr Geld aus ihm herauspressen.
„Die Damen konnten mir nicht weiterhelfen“, schwindelt Magnus Schwester Ilona an.
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„Sie hören noch von mir“, warnt er sie streng. Schwester Ilona hat allerdings nur ein Schulterzucken für ihn übrig. Ein
Familiendrama, denkt sie. Mann ein Sklavenhalter, Frau armes Opfer seines Jähzorns und seiner Führerrolle. Wen wundert es da, dass sie das Weite sucht bei so einem Primaten.
„Mit Karten bestochen?“ Dani weiß nun gar nicht mehr, was sie denken soll. „Aber wer ist die imaginäre Schwester, Papa? Das ist
ziemlich undurchsichtig. Mami geht nicht mehr ans Handy.“
Magnus ist nicht bereit, Dani von seiner Vermutung zu erzählen, das würde sie sofort auf dumme
Gedanken bringen, und sie würde ihn noch der Untreue bezichtigen. Auch wenn Dani seinen Charakter hat, so würde sie für immer und ewig zu ihrer Mutter halten.
Großer Gott, wie soll ich nur… „Dani Schätzchen, fahr nach Hause. Wenn ich mehr weiß, rufe ich dich an.“ Magnus versucht, freie Bahn für seine weiteren
Nachforschungen zu bekommen. „Dein Vater hat Recht, Dani, komm, lass uns fahren, du musst doch wieder zur Nachtschicht. Du kannst es weiter auf dem Handy probieren. Eins ist
sicher, sie ist nicht allein unterwegs und wie es aussieht, ist sie freiwillig mitgegangen mit dieser Person. Entführer hätten sich schon gemeldet“, zerstreut Fredi Danis
Bedenken.
„Dani tut mir ein bisschen leid. Ich glaube, ihr geht das mit mir ganz schön an die Nieren.“ „Die Süße hat dir einen
Blumenstrauß mitgebracht, Donna.“ „Cecilia, ich möchte sie anrufen, damit sie beruhigt ist. Ich will ihr sagen, dass es mir gut geht, sonst nichts.“ „Gut, Donna, wir gehen zur
Telefonzelle. Mit dem Handy ist es zu riskant.“
Ich fühle mich mit der roten Perücke wie ein anderer Mensch. Niemand würde mich
jemals erkennen, das ist auch
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Cecilias Meinung. In unserer Unterkunft
nimmt niemand besondere Notiz von uns. Nur ein paar Freier, die mit den Mädchen in das Etablissement kommen, riskieren für Cecilia einen Seitenblick. Ich bin wie immer Luft
für die gesamte Männerwelt.
„Daniela, hier ist Mami. Es geht mir gut. Macht euch keine Sorgen“, teile ich mich so überzeugend
wie möglich am Telefon mit. „Das ist genug, Donna. Lass Magnus ruhig schmoren.“ Cecilia legt den Hörer wieder auf die Gabel. „So, Donna Herzchen. Jetzt kleiden wir dich
erstmal vernünftig ein. In dir steckt viel mehr, als ein graues Mäuschen.“
Cecilia hakt mich unter, was bei dem Größenunterschied zwischen uns zum
schießen aussehen muss. Wir gibbeln wie Teenager, als Cecilia mir nun von ihrer Liebesnacht mit Magnus berichtet. „Es war natürlich alles ganz gesittet, Donna“, attestiert sie
mir unschuldig. Sie schaut mich amüsiert von der Seite an, und ich male mir aus, welchen Spaß Cecilia mit dem schnarchenden Magnus wohl tatsächlich hatte.
Ich sehe aus wie ein rothaariger Engel, als ich den Friseursalon verlasse. Große Locken ranken sich um mein stylisch geschminktes Gesicht,
das eigentlich auf soviel Chemie sofort allergisch reagieren müsste. Doch ich tue Cecilia den Gefallen und halte unter leichtem Juckreiz ihre Bemühungen aus, mich wie ein
altes chromglänzendes Auto aufzupolieren. Meine Fingernägel schmücken winzige Freiheitsstatuen auf glitzerndem Nagellack als kleine Einstimmung auf unsere Reise durch die USA.
Ich trage einen schwarzen Lederrock, der sich wie eine zweite Haut an meinen sonst mit Schlabberhosen bekleideten Hintern schmiegt. Dass ich eine
Taille habe, war mir bis jetzt nicht
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bewusst. Das Corsagenoberteil nimmt
mir ein wenig die Luft, aber es macht unheimlich sexy. Tapfer laufe ich auf den neuen Pumps über das Kopfsteinpflaster und kralle mich an Cecilias Arm, als ich auf dem Gehweg
mit dem Absatz hängen bleibe und beinahe stürze. „Du wirst es schon noch lernen, Donna“, ermuntert mich Cecilia.
Mit einem Wust von Plastiktüten laufen
wir wie zwei Hollywoodstars über den Campus des Rotlichtviertels. Ich fühle mich wie… ja, wie ein Teil dieser Größenteils wunderschönen Frauen, die hier ihr hartes Brot
verdienen. Männer können plötzlich ihre begierigen Blicke nicht von mir wenden, und ich bin sicher, Magnus würde sich eine Nacht mit mir richtig was kosten…Was geht denn da
plötzlich in deinem dummen kleinen Köpfchen vor, Donna, denke ich mir. Mich packt das schlechte Gewissen, aber ich fühle mich nicht schlecht. Ich bin Donna, 20 Jahre jünger,
mitten im Leben, und es ist ein Wahnsinngefühl.
„Wir müssen uns sputen, Donna, bevor mein Tiger Magnus seine Fühler nach uns
ausstreckt. Die Polizei wird er aus dem Spiel lassen. Wir müssen es halt riskieren. Rein in die Pumps, Sonnenbrillen auf, die falschen Gucci Handtaschen mit Ausweis und
Reisepass schnappen und ab ins Reisebüro. Aber vorher lass uns etwas essen gehen, ja?“
Cecilias Elan ist ungebremst und 2 Stunden später sitzen wir
einer engagierten Reiseverkäuferin gegenüber. Nach weiteren 2 Stunden liegt unsere Reiseroute fest, Formulare für die Einreise sind bestätigt und die Flüge sind gebucht. Wir
zahlen bar. Morgen sitzen wir im Flieger. Unser Gepäck wird nur das Nötigste enthalten. In den USA wollen wir
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uns Kleinpackungen von Hygieneartikeln besorgen, um keinen unnötigen Ballast mitzuschleppen. Wir kaufen noch eine Tube Farbe
und einen Pinsel, um Cecilias Hände mit einem natürlichen Hautton zu versehen, damit ihr die weißen Handschuhe erspart bleiben.
In der Bar der kleinen Pension stoßen wir auf einen schönen Urlaub an. Ich muss mich an Cecilia festhalten, als mich jemand von hinten anspricht, dessen Stimme ich kenne.
Schnellinger hat seine glitschig feuchte Hand auf mein, wegen meines Lederrockes, sichtbares Bein gelegt und fährt über meine anthrazitfarbene Strumpfhose. Langsam drehe ich
mich zu ihm um.
„Darf ich den Damen Gesellschaft leisten?“, fragt er mit seiner schmierigen Schleimstimme. Im roten Dämmerlicht erkennt Schnellinger
mich nicht. Hab ich ein Glück, dass er mich das letzte Mal vor 2 Jahren gesehen hat und meine Kontaktlinsen eine Brille überflüssig machen. Cecilia bemerkt meine Schockstarre.
Ich deute mit den Augen auf den Mann, dessen Hand jetzt unter meinem Rock gelandet ist. Warum muss er ausgerechnet heute seinen Spaß suchen, und dann noch
hier?
Langsam gleite ich von meinem Hocker, und mein Rock rutscht dabei noch ein bisschen höher. Ich bin es nicht gewohnt, ohne Hilfe von einem
Barhocker herunterzusteigen und falle Schnellinger dabei direkt in die Arme. Sofort winde ich mich aus seiner Umklammerung und setze ein verführerisches Lächeln auf. Ich
schlage mich an die Seite von Cecilia und flüstere ihr ins Ohr: „Der Arbeitskollege von Magnus.“ „Ich kenne ihn, aber er weiß nicht wer ich bin“, antwortet Cecilia ebenso
leise und ergreift gleich die Initiative.
Die schwarze Perücke und der rote Hosenanzug lassen keine Erinnerung an Ricarda bei Schnellinger aufkommen.
„Alica, machst du uns bitte drei Doppelte“, bittet Cecilia die Barfrau. „Du gibst uns doch einen aus, Süßer, nicht wahr? Meine Kehle ist so trocken.“ Cecilia steht jetzt
so
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dicht bei Schnellinger, dass er sich vor Aufregung die Krawatte lockern
muss. „Ja, äh, natürlich. Auch gerne zwei oder drei.“ Cecilia umgarnt Schnellinger wie eine Spinne. Ich nehme wieder auf einem Barhocker neben Cecilia Platz. Schnellinger
zieht seine Jacke aus, weil ihm der Schweiß ausbricht, als Cecilia ihn nach dem Rhythmus der Musik ihr Bein um den Körper schlingt und ihn fest an sich drückt.
„Somebody that i used to know“ von Gotye und Kimbra klingt langsam aus. Cecilia hat Schnellinger das Hemd aufgeknöpft und ihm die Krawatte abgenommen. Mit der einen
Hand schiebt sie den vor Erregung fast stöhnenden Kerl vor sich her zum Separee, mit der anderen fordert sie Alica auf, ihr noch drei doppelte Whiskey zu bringen. Alica
lächelt mir zu und bringt die Gläser in das mit einem Vorhang abgetrennte Zimmer.
Weil ich nicht sicher bin, ob Cecilia nun längere Zeit verschwunden
sein wird, warte ich ein Weilchen an der Bar. 15 Minuten später erscheint sie ohne Schnellinger und in bester Laune. „Er wird sich wohl an nichts erinnern. Gott, was für ein
schrecklicher Typ, da ist Magnus ein Goldjunge gegen“, lobt sie ihn in den höchsten Tönen. „Hier, für alle Fälle.“ Cecilia zeigt mir ein Tütchen mit einem weißen Pulver.
„Keine Drogen“, verspricht sie mir, als ich sie entgeistert ansehe. „Nur ein ganz leichtes Schlafmittel für unangenehme Grabscher. Und jetzt, Donna, ab in die Falle. Wir
müssen morgen früh raus.“
„Cecilia, hast du mit ihm…ich meine, habt ihr…" „Oh, Süße. Nein, das hat er nicht mehr geschafft. Sehr zu meinem Leidwesen.
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Aber er hat mir etwas von Magnus erzählt.“ Ich erschrecke und verschlucke
mich fast an meinem Getränk. „Nun sag schon, Cecilia“, dränge ich sie.
„Er will ihn fertigmachen, er sägt an seinem Stuhl.“ „Oh, nein, nicht das. Das
kann er Magnus nicht antun“, jammere ich. „Das wird er nicht, Kleines, schau her.“ Ich betrachte die Fotos, die Cecilia in dem Separee mit ihrem Handy geschossen hat. Sie
zeigen Schnellinger in eindeutiger Pose mit meiner Freundin. „Nur für den Fall, dass er dem Tiger ans Bein pinkeln will, Donna.“ „Man, du bist ganz schön abgebrüht, Cecilia.“
Todmüde sitzen wir in der Wartehalle der Fluggesellschaft. Ich muss plötzlich an meine Mutter denken. Über das Chaos mit
Cecilia habe ich die alte Dame vollkommen vergessen. Aber ich vertraue darauf, dass Magnus oder Dani ihr eine halbwegs glaubhafte Geschichte über meine Flucht aus der Klinik
präsentieren. Dann kommt mir mein Bruder Daniel in den Sinn, der seit 10 Jahren in New York wohnt und mich schon mehrfach zu einem Besuch bei sich eingeladen hat.
„Cecilia, was denkst du, soll ich Daniel anrufen, wenn wir in New York ankommen?“ „Wir sind drei Tage dort. Zwei davon sind wir mit der Reisegruppe
unterwegs. Einen ganzen Tag haben wir zur freien Verfügung. Ist Daniel vertrauenswürdig? Ich, meine, wäre es möglich, dass er uns bei Magnus verpetzt?“ „Mein einziger Bruder
hat mich noch nie angeschwärzt.“ „Dann spricht nichts dagegen, Donna.“
Cecilia besorgt uns einen Kaffee, während ich halb schlafend das Handgepäck
bewache.
Ich trage einen blauen Hosenanzug und ein von Cecilia kreiertes Make Up, natürlich und doch perfekt meinem sonst eher unauffälligen Gesicht
eine erotische Note verleihend. Wir passieren die Körper- und Gepäckkontrolle und werden sehr gründlich abgetastet. Ich
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wundere mich, dass wir unsere Kleidung dabei anbehalten dürfen. Extrem streng schauende Sicherheitsleute schüchtern mich ein,
sodass ich leicht zu zittern beginne. „Na na, junge Frau, nur nicht nervös werden.“
Ich fühle mich nicht angesprochen und packe meinen Tascheninhalt
wieder zurück ins Handgepäck. „Sie haben was vergessen, junge Frau.“ Jemand tippt mir auf die Schulter. Leicht panisch drehe ich mich um. Vor mir steht ein hünenhafter Mann,
der gut und gerne den Siegfried in den Nibelungen spielen könnte. Ein Stirnband hält seine blonden Haare zusammen. Hellblaue Augen strahlen mich an.
Ich
habe keine Zeit, ihn weiter zu taxieren und nehme ihm meinen Lippenstift ab, den ich in der Box übersehen habe. „Danke“, ist alles, was ich sagen kann, weil ich noch immer
unter Spannung wegen der Kontrolle stehe. Ich geselle mich schnell zu Cecilia, die bereits hinter dem Band auf mich wartet.
„Donna Herzchen, wen hast
du dir denn da an Land gezogen?“, fragt sie mich. „Ich, äh, an Land…“ ich bin verstört und der Hüne steht schon wieder an meiner Seite. „Haben die Damen auch die USA Rundreise
gebucht?“, möchte er von uns wissen. „Zufällig ja“, antwortet Cecilia, weil mir die Worte nicht über die Lippen kommen wollen. „Schön, ich bin Henk.“ „Ach so, ich heiße Donna
und das ist Cec…ich meine, das ist Ricarda, meine Freundin.“ „Na dann, wir sehen uns gleich im Flieger.“
Henk hat einen niedlichen holländischen Akzent,
spricht jedoch ein hervorragendes Deutsch. Er lässt uns den Vortritt, und ich versuche zwischen ihm und uns einen möglichst großen Abstand zu gewinnen. „Das ist ein richtiger
Naturbursche, phantastisch“, bewundert Cecilia ihn.“ „Hör auf, Cecilia, bitte. Wir wollen reisen, von Männern war nicht die Rede.“ „Aber wenn sich doch was
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ergibt, Donna.“ Cecilia nimmt Henk weiterhin in Augenschein, in dem sie sich zu ihm
umblickt. Endlich können wir uns in den bequemen Flugzeugpolstern niederlassen. Ich überlege, wann ich mit Magnus zuletzt in Urlaub geflogen bin, und ich komme auf mindestens
10 Jahre Flugabstinenz. Es war ein Urlaub in Spanien ganz auf Dani und Magnus zugeschnitten, mit viel Wassersport, Golf und Animationsprogramm für Dani. Danach hat es sich
einfach nicht mehr ergeben, und Magnus hat seine freie Zeit lieber auf dem Golfplatz oder in seinem Arbeitszimmer verbracht.
„Hallo.“ Henks sonorer
Bass, der mich an Hagen und die Götterdämmerung erinnert, lässt mich zusammenzucken, und ich erspähe ihn in der Reihe neben mir. Nur der schmale Gang trennt uns beide von
einander. Cecilia hat ein siegessicheres Grinsen im Gesicht, das nichts Gutes verheißt.
„Hallo Henk“, begrüßt sie ihn ungezwungen. „Wenn sie wollen,
tauschen wir nachher mal die Plätze“, bietet sie ihm großherzig an. Ich sinke tief in meinen Sitz und würde mich sehr gerne mit einer Tarnkappe unsichtbar machen. Aber Henk
willigt sofort ein und meine Gedanken beginnen wieder zu rotieren.
„Cecilia, bitte nicht", knurre ich leise. "Ich weiß doch gar nicht, was ich mit ihm
reden soll.“ „Donna Herzchen, soll ich dir ein paar Fragen notieren?“ „Lieber nicht“, murmle ich vor mich hin.
Ich gebe meinen Wiederstand gegen Cecilia
auf und falle nach dem Start in einen leichten Schlaf.
Magnus empfängt mich am Flughafen mit zwei amerikanischen Polizisten und zwei Männern in weißer
Kleidung. Ich bin allein mit meinem Gepäck, von Cecilia ist nichts zu sehen.
„Da, da ist sie“, brüllt Magnus den Polizisten auf
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Englisch zu, als ich auf den Ausgang zusteuere. Ich laufe in die entgegengesetzte Richtung, doch
Magnus holt mich mit den Männern in Weiß ein. „Ganz ruhig, Donatella.“ Magnus behandelt mich wie ein scheuendes Pferd. „Nein, Magnus, nicht“, schreie ich, und bei dem Versuch,
mir eine Jacke ohne Ärmel um den Körper zu binden, hole ich mit meiner noch freien rechten Hand aus und verpasse ihm einen Kinnhaken.
„Ich will nicht
für immer drin bleiben, nicht für immer, Magnus“, rufe ich noch meinem nach hinten kippenden Ehemann zu. Dann hält jemand meine Hände fest. Ich erwache neben Henk, der mich
mit sanften Worten zu beruhigen versucht.
„Hey, es ist nichts geschehen, Donna.“ „Donna, Täubchen, du musst nicht dort bleiben.“ Cecilia sieht mich
besorgt an und streicht mir über die Haare, während Henk sich das Kinn reibt. „Donna, sie haben einen ganz schönen Punch, eine schnelle Rechte“, lobt er meinen Schlag. „Oh,
mein Gott, hab ich sie geschlagen, Henk, das tut mir fürchterlich leid, ich wollte nicht…“
Henk hält noch immer meine Hände. „Ich wollte ihnen nur die
Jacke überlegen“, entschuldigt er sich bei mir. „Meine Güte, Donna, sogar der Flugkapitän ist vor Schreck aus seinem Cockpit gekommen…“ „Echt, oh Ricarda, wie peinlich… der
Kapitän?“ Beschämt schaue ich zur geschlossenen Cockpittür.
„Quatsch, Donna, ihre Freundin will sie ein bisschen aufziehen. Wir haben das Schlimmste
verhindert, und ich bin so einiges gewohnt, so schnell haut mich keiner aus den Stiefeln.“
„Verzeih, Kleines, aber ich konnte nicht anders…“Cecilia
schmunzelt und ich kann ihr nicht einmal böse sein. Henk schaut enttäuscht, als ich ihm
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meine Hände entziehe, und nur wiederwillig setzt er sich auf seinen Platz.
„Marlene, ich musste so handeln, glaube mir.“ „Und warum erfahre ich von dem Schicksal meiner einzigen Tochter erst von Daniela? Das Mädchen hat sich bei mir ausgeweint,
Magnus.“ Magnus überfallen plötzlich Schuldgefühle, als er seiner Schwiegermutter gegenüber sitzt, und er kommt ins Grübeln. „Und wie willst du weiter vorgehen, Magnus? Du
musst sie suchen und zurückbringen. Wer ist diese Frau, mit der sie angeblich unterwegs ist? Kennst du sie, Magnus?“
Die vielen Fragen von Marlene
lassen Magnus keinen vernünftigen Gedanken zu Ende bringen. „Ich möchte auf keinen Fall die Polizei einschalten, das würde Donna nur noch mehr psychisch belasten.“ „Dann
beauftrage einen Privatdetektiv.“ „Nein, Marlene, ich will mich selbst auf die Suche machen, koste es, was es wolle.“
„Hatte Donna einen bestimmten
Grund, einfach so abzuhauen, Magnus? Magnus, sieh mich an. Niemand läuft so ohne einen Anlass weg“, bohrt Marlene weiter nach. Magnus stutzt zuerst, als er die wirkliche Frage
hinter Marlenes Worten heraushört. „Halt, stopp, Marlene!“, verteidigt er sich laut. „Du denkst doch wohl nicht, dass ich sie geschlagen oder betrogen habe, das denkst du doch
nicht, oder?“ Magnus ist empört. „Dann sag mir warum, Magnus.“ „Ich weiß es nicht, ehrlich“, beteuert er bedrückt.
„Gut. Bitte berichte mir jede
Neuigkeit, die Donna betrifft. Und, Magnus, denk einmal über eure Ehe nach, vielleicht findest du ja eine Antwort auf meine Frage.“ Magnus fühlt sich von Marlene unter Druck
gesetzt. Die versteckten
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Verdächtigungen seiner Schwiegermutter haben ihn
verletzt. Vielleicht war er in den letzten Jahren mit Donna nicht immer der aufmerksamste oder freundlichste Ehemann, aber häusliche Gewalt will er sich auf keinen Fall
nachsagen lassen.
„Cecilia, bitte sag Henk nichts von der Klinik und unserer Flucht. Wir müssen vorsichtig damit sein, wem wir
vertrauen. Wir wissen doch nicht, ob Magnus Henk nicht doch auf uns angesetzt hat.“ „Donna, so schnell schießen die Preußen nicht, hat meine letzte Chefin gesagt, bevor sie
von einer Kugel getroffen wurde. Aber keine Bange, Herzchen, von mir wird er nichts erfahren.“
„Danke, Cecilia.“ „Ricarda, Schätzchen, ab jetzt immer
nur Ricarda.“ „Hoffentlich gewöhne ich mich daran, Cec…ehm, Ricarda.“
„Donna, war Magnus eigentlich immer schon so ein
Machotyp?“ „Magnus? Nein, Ricarda, er konnte sogar richtig lieb sein. Seine Arbeit hat ihn sehr verändert. Er ist in einer Führungsposition, muss mit seinen Mitarbeitern
zurechtkommen und lässt gerne mal den Chef raushängen. Manchmal vergisst er, zu Hause diesen Ton abzustellen. Ich fühle mich halt oft wie ein nutzloses Anhängsel. Magnus steht
selbst unter Dauerstress. Das Geschäft ist hart und keiner ist mehr sicher in seinem Job.“ „Du hättest dich wehren können, Donna.“ „Ich hab mich untergeordnet, weil es
bequemer war, Ricarda.“ „Damit ist ab heute endgültig Schluss. Wenn du jetzt nicht zu leben beginnst, wann dann?“
„Du hast Recht, Ricarda, ab jetzt
keinen Gedanken mehr an Magnus und die Klinik, ich freue mich auf dieses Abenteuer mit dir und…Henk.“
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Cecilia vertreibt sich die Zeit damit, Henk ungeniert anzustarren. Er trägt Kopfhörer, hat die Augen geschlossen und bewegt ab
und an die Lippen.
„Ich wette mit dir, dass er Wagner hört, Donna.“ „Oder Bibi Blocksberg“, versuche ich, Henks Vorlieben zu erraten. Wir überlegen uns
mit viel Fantasie, womit Henk sich in seinem Leben wohl beschäftigt.
„Masseur, er ist bestimmt Masseur in einem Wellnesshotel“, schlägt Cecilia vor.
„Hast du dir seine Hände angesehen, Ricarda? Gepflegt, aber groß wie Pizzateller. Ich tippe auf Sportler, Basketballer vielleicht“, beteilige ich mich an ihrem
Ratespiel.
„Für was Akademisches ist er…ist er zu groß“, mutmaßt Cecilia. „Tänzer, das ist es, er ist Tänzer bei den Chippendales.“ „Bitte keine
Vorurteile, Ricarda, das eine schließt das andere nicht aus.“
Cecilia steht abrupt auf. „Ich muss mir mal die Beine vertreten, Donna.“ Sie bleibt vor
Henk stehen. Ich beobachte, dass Cecilia sich wie zufällig in seinem Kopfhörerkabel verheddert. „Oh, sorry, Henk.“ Verwirrt schaut er zu ihr hoch und nimmt den
heruntergerissenen Kopfhörer wieder an sich. „Darf ich mal hören?”, fragt Cecilia dreist. „Ja, Ja, natürlich, Ricarda“, antwortet Henk leicht
überrumpelt.
Cecilia knipst mir ein Auge zu und scheint sich ganz auf das zu konzentrieren, was sie zu hören bekommt. Bei mir steigt die Spannung, und
ich will unbedingt wissen, wer von uns mit seiner Vermutung richtig liegt. Henk lächelt zu mir herüber. Ich erwidere seine Freundlichkeit, dann richte ich meinen Blick stur
geradeaus auf den Kopf meines Vordermannes, der seinen Sitz unverschämter Weise soweit nach hinten heruntergedreht hat, dass ich ihm, ohne mich weiter vorbeugen zu müssen,
sein haarloses Haupt küssen könnte. Ich schnaufe vor Wut und trete ungehalten gegen die Fußraste. „Darf ich kurz?“ Henk macht mir
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ein Zeichen, dass ich mit ihm den Platz tauschen soll. Erst langsam registriere ich, was ihn dazu veranlasst. Er drückt
seine langen Beine in den Sitz vor ihm und damit in den Rücken des schlafenden Barhäuptigen. Dann klappt er das Tablett im Rückenteil des Vordersitzes dreimal auf und jedes
Mal mit einem lauten Knall wieder zu.
„Was zum Teufel soll…?“ Die Frage des Glatzenträgers bleibt unausgesprochen, als er Henks böse dreinschauendes
Gesicht millimeterdicht vor sich sieht. „Probleme?“, meint Henk nur und gibt ihm einen deftigen Kuss auf den kahlen Schädel. „Alles ein bisschen eng hier, Süßer“, macht er ihm
deutlich. „Äh, ja, tut mir leid“, winselt der Haarlose und bringt in Sekundenschnelle seinen Sitz wieder in die aufrechte Stellung.
„Na, geht doch, und
immer schön Abstand halten, sonst…“ Henk wirft dem verblüfften Passagier noch einen Handkuss zu. Ich kann ein Schmunzeln nicht unterdrücken und Henk stimmt in meinen
einsetzenden Lachanfall ein.
„Sie haben ein hübsches Lächeln, Donna“, sagt Henk nach ein paar Sekunden unvermittelt. Prompt werde ich verlegen, denn mit
so einem Kompliment von Ihm habe ich nicht gerechnet, und in den letzten 30 Jahren weiß ich eigentlich nur aus Romanen und Liebesfilmen, dass Männer zu solchen Äußerungen in
der Lage sind.
Artig bedanke ich mich bei ihm und entziehe mich schnell wieder seinem strahlenden Blick aus den hellblauen Augen.
Donna, lass dich bloß nicht bezirzen, verwarne ich mich selbst. „Na, dann gehe ich mal wieder rüber.“ Henk drängelt sich an Cecilia vorbei an seinen Platz und nimmt
seine Kopfhörer entgegen.
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„Er ist schwul“, spreche ich so leise es geht
Cecilia ins Ohr, als sie ihren Platz neben mir wieder eingenommen hat. „Wie kommst du denn darauf, Donna?“ „Na, du hast es doch gesehen und gehört, Glatze, Kuss, Süßer und
so.“
„Ja, Donna, und das mit einem Gesichtsausdruck wie Hulk Hogan, wenn er seinen Gegner in die Ringecke oder in die Seile geworfen hat und auf ihn
fleißig nochmal draufgesprungen ist. Schwul, Donna Herzchen, niemals.“
Ich warte einige Minuten darauf, dass Cecilia mich über Henk aufklärt. „Und, was
hat er sich denn jetzt angehört, Ricarda?“ „Halt dich fest, Donna. Er hat für seine Rolle gelernt.“ „Er ist Schauspieler?“ „Wie man`s nimmt.“ „Und welches Fach?“, löchere ich
Cecilia. „Nun sag schon.“ „Er ist Pornodarsteller.“
„Was? Cec…Ricarda, ist das wahr?“ Ich werde das Gefühl nicht los, dass mir meine Freundin schon
wieder einen Bären aufbinden will. Henk muss gemerkt haben, dass ich ihn neugierig fixiere, denn er deutet amüsiert mit einem Handkuss auf meinen
Vordermann.
„Das war ein Witz, Donna. Dir kann man aber auch alles erzählen und du glaubst es.“ „Also nicht…?“ Cecilia lässt mich noch ein bisschen
zappeln. „Er ist Pfarrer, wohlgemerkt evangelischer Pfarrer, und er hat seine Predigt auswendig gelernt.“
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„Ja, Daniel. Ich bin hier in New York mit einer Freundin.“ „Donna, ich bin sowas von sprachlos. Du hättest mich doch schon
früher anrufen können. Dann hättest du, dann hättet ihr bei mir wohnen können.“ Daniel scheint sich ehrlich über meinen bevorstehenden Besuch zu freuen.
„Donna, sag ihm das mit Magnus“, hält Cecilia mich an. „Daniel, bitte sag Magnus nicht, dass ich hier bin, ich erkläre es dir später. Bitte tu mir den Gefallen, ja?“ Daniel
ist verdutzt über meine Bitte, verspricht mir aber dichtzuhalten, wenn Magnus ihn anrufen sollte.
„Danke, Daniel, wir werden jetzt ins Hotel gebracht
und wollen ein Paar Stunden ausruhen. Morgen und Übermorgen werden wir durch New York mit dem Bus gekarrt und fahren die wichtigsten Sehenswürdigkeiten an. Übermorgen kommen
wir zu dir, Okay? Also, bis dann, Daniel.“ Noch ehe er etwas sagen kann, habe ich das Gespräch von der Telefonzelle am Flughafen beendet.
„Oh, Ricarda,
ich fühle mich einfach gut, so losgelöst von allen Sorgen und Langeweile.“ „ So gefällst du mir, Donna Schätzchen. Ach, da kommt ja auch der gute Pfarrer, ähm, ich meine
Henk.“ Cecilia winkt Henk heran. „Henk, in welchem Hotel sind denn sie einquartiert?“, will sie von ihm wissen. „Ich hab das Hilton Times Square ausgewählt, das hat mir ein
Freund empfohlen, der hier in New York wohnt und den ich besuchen werde.“ „Nein, was für ein Zufall, da wohnen wir beide auch, Donna, ist das nicht fantastisch?“, meint
Ricarda ein wenig übertrieben fröhlich. „Ja, toll.“ Ich weiß nicht so genau, ob ich
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mich darüber freuen soll, dass Henk so dicht in meiner Nähe ist. Irgendwie macht er den Eindruck, dass er…, ach Quatsch,
Donna. Du bildest dir Sachen ein, die es gar nicht gibt. Was sollte ein Kerl wie Henk schon für dich übrig haben?
„Und, können sie ihren Text, Henk?“,
frage ich ihn, nur um nicht dumm herumzustehen und rot wie eine Tomate zu werden. „Text?“, fragt er überrascht. „Ja, die Predigt“, erinnere ich ihn. „Ach so, ja, die Predigt.
Ich werde sie auf Englisch halten in einer Partnerkirche hier in New York. Ist nicht sehr aufregend, Donna, wirklich nicht.“
Henk steht dicht vor mir
und berührt meinen Arm mit seiner Hand. Unwillkürlich zucke ich wieder zusammen, weil ich Herzklopfen und Bauchschmerzen bekomme. Ich bekomme Herzklopfen? Das kann nicht sein,
Donna, rede ich mir ein. Seit vielen Jahren hast du nur Bauchschmerzen, wenn du Kohl gegessen hast. Aber dieses Mal fühlt es sich nicht wie Kohl an, eher wie …wie die
Flügelschläge eines Engels oder so.
Henk muss meine Reaktion gespürt haben und fährt mit seiner Hand an meinem Arm herunter, bis er an meiner Hand
angekommen ist. Dann hält er sie für einen Moment fest. „Darf ich mal kurz stören?“, bringt Cecilia sich in Erinnerung. Henk zieht seine Hand weg, lässt aber seinen Blick
nicht von meinen Augen. „Hallo ihr zwei, der Bus wartet.“ „Henk, der Bus wartet“, wiederhole ich Cecilias Worte wie ein gut dressierter Papagei. „Ich nehme ihr Gepäck, Donna“,
schlägt Henk mir vor und greift nach meinem Koffer.
„Glückwunsch, Donna. Den hast du aber schon im Griff. Ich glaube, dieser Urlaub wird himmlisch für
dich, Donna Herzchen“, flüstert mir Cecilia lachend zu.
Ich bin von Henks Blick wie vom Donner gerührt und wundere
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mich nicht einmal darüber, wieso Cecilia von meinen Gedanken über die Engel Bescheid
weiß.
„Papa, weißt du schon irgendetwas von Mami? Sie hat mich angerufen und mich beruhigt. Es geht ihr gut, hat sie gesagt.“
„So, hat sie das getan?“ Magnus hört seiner Tochter nur mit halbem Ohr zu. Seine Gedanken sind weit weg und seine Wut auf Ricarda hat noch ein wenig zugenommen. Er versucht
unentwegt, die Zusammenhänge zu verstehen. Warum hat Donna sich nur auf diese Frau eingelassen? Was zum Teufel spielt sie für ein Spiel?
„Papa, hast du
überhaupt zugehört?“ Dani wird lauter, weil Magnus nicht weiter auf ihre Frage eingeht. „Was, Dani? Ja, Schätzchen, ich habe nur überlegt, wo ich anfangen soll mit der Suche.“
Magnus möchte Dani auf keinen Fall erzählen, wie sein Plan aussieht. Als erstes will er die Bar aufsuchen, in der er mit Schnellinger war. Vielleicht weiß man dort mehr über
Ricarda. Dass sie allerdings zum horizontalen Gewerbe gehört, kann Magnus sich nicht vorstellen.
Er vertröstet Dani am Telefon und macht sich dann auf
den Weg in das Kölner Vergnügungsviertel.
Ich sitze auf einer weißen Wolke neben Cecilia und lackiere mir die Fingernägel. Ihre
weichen weißen Flügel kitzeln mich in der Nase und sie zielt mit ihrem Pfeil und Bogen auf irgendetwas Irdisches.
„Ricarda, wen nimmst du denn da ins
Visier?“ Ich schaue durch einen kleinen Wolkenspalt und sehe Magnus über den Alter Markt laufen. Dann höre ich das zischende Geräusch des fliegenden Pfeiles. Doch der Pfeil
trifft nicht Magnus,
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sondern genau neben ihn auf den Asphalt.“ „Zum
Kuckuck“, höre ich ihn in seinem üblichen Ton schimpfen. Er hebt den Pfeil auf. „Wer hat denn diesen…?“ Magnus schaut zum Himmel hoch und sieht Cecilia und mich auf unserer
Wolke. „Hab ich euch endlich erwischt. Na warte, ich krieg euch bald.“
„Ricarda, er kommt rauf“, rufe ich aufgeregt und erwache in meinem Hotelbett
neben Cecilia, die mir sofort ein Glas Wasser reicht und meine schweißnasse Stirn abwischt. „Donna, Herzchen, das mit den Albträumen muss endlich aufhören, hörst du. Du machst
mir echt Sorgen.“ „Es ist nur die Zeitverschiebung, Ricarda.“ „Das glaubst du, Donna. Vielleicht solltest du mal mit Henk darüber reden.“ „Mit Henk über Amors Pfeile reden?“
„Davon hast du geträumt, Donna?“ „Ja, du wolltest Magnus treffen ins Hinterteil.“ „Und, hab ich ihn getroffen?“ „Leider nein, Ricarda, du hast voll daneben geschossen.“
„Tja, mein Tiger Magnus ist keine leichte Beute, ich muss halt noch ein bisschen üben“, seufzt sie und spannt einen imaginären Bogen, um einen ebenso
imaginären Pfeil abzuschießen.
„Donna, du hast mir ja vielleicht Kopfschmerzen bereitet.“ Daniel empfängt mich überglücklich aber
mit leicht vorwurfsvoller Stimme. „Hi, Bruderherz.“ Wir umarmen uns lange und innig, und ich verdrücke ein paar Tränen, weil ich Daniel so lange nicht gesehen habe. „Darf ich
vorstellen“, schniefe ich in mein Taschentuch. „Meine Freundin Ricarda, mein kleiner Bruder Daniel, der Patenonkel von Dani.“
Daniel ist deutlich
beeindruckt von Cecilias Statur und ihrem anziehendem Äußeren. Er hat für uns einige Snacks hergerichtet. „Erwartest du
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noch jemanden, Daniel? Das ist doch nicht alles nur für uns, oder?“ „Du hast mich ja nicht antworten lassen am Telefon.
Nachher kommt noch ein Freund zu Besuch. Ich wollte es dir noch sagen, aber …“ „Und, wie geht es dir, Brüderchen? Du lebst immer noch allein“, stelle ich fest. „Nun, man
trifft ja nicht jeden Tag solche Frauen wie dich und…deine Freundin“, schmeichelt Daniel uns. „Hat Magnus sich schon gemeldet, Daniel?“ „Nein, Donna, Magnus nicht. Aber unsere
Mutter. Ich hab ihr nichts von euch beiden gesagt. Aber jetzt mal heraus mit der Sprache. Was war los bei euch zu Hause?“
Daniel wechselt die
Gesichtsfarbe, als ich ihm die Vorfälle schildere. „Deine Schaufensterpuppe? Lebendig? Und Kaffee gekocht?“ Er schüttelt langsam den Kopf und mitleidig nimmt er mich in den
Arm. „Wie kann ich dir nur helfen, Donna?“ „Es ist alles gut Daniel. Ricarda hat mir geholfen. Sie hat mich aus der Klinik geholt und ist mit mir auf diese Reise gegangen.“
Daniel schaut Cecilia jetzt zweifelnd an. Soll er sich doch seinen eigenen Reim drauf machen, denke ich mir und verschweige ihm weitere Einzelheiten.
Doch so schnell ist Daniel nicht zufrieden zu stellen mit meiner Darstellung. „Und woher habt ihr das Geld für diese Reise?“ „Ähm…“ „Das hab ich beim Poker gewonnen. Ich bin
eine leidenschaftliche Pokerspielerin“, hilft mir Cecilia aus der Patsche. „So so, Poker.“ Wir müssen Daniel nicht weiter Fragen beantworten, weil es zum Glück an der Haustür
klingelt. Wir staunen nicht schlecht, als plötzlich Henk im Zimmer steht. „Henk, sie?“, platzt es aus Cecilia und mir gleichzeitig heraus. Wir müssen lachen über so viel
Zufall auf einmal.
Daniel schaut verwirrt zwischen uns dreien hin und her. „Ihr kennt euch?“ „Wir reisen schon seit drei Tagen zusammen.“ „Daniel“,
flüstere ich meinem Bruder zu, „sag ihm nichts, bitte.“
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„Gut Donna, kein
Wort zu Henk, aber er ist ein fantastischer Mann, verlässlich und ein Seelsorger. Du könntest ihm alles anvertrauen.“ „Danke, Daniel. Ja, er ist… großartig“, pflichte ich
meinem Bruder bei, ohne jedoch groß ins Schwärmen über Henks Ausstrahlung zu geraten.
Wir verbringen gemeinsam einen unterhaltsamen Nachmittag, reden
über die aufregenden Tage in New York, und Daniel gibt uns Tipps zu unseren nächsten Reisezielen. Henk hält ständig Blickkontakt zu mir, berührt ein paar Mal wie zufällig
meine Hand, und ich kapiere langsam, wie schön das Leben außerhalb von Köln-Kalk doch sein kann.
„Eine große rothaarige Frau,
sagen sie?“ Magnus steht vor der roten Rita. Sie hat ihn nicht hereingebeten und ist auch nicht bereit, ihren Sohn mit dieser Sache zu belästigen. „Sie nennt sich Ricarda.“
„Nie gehört“, speist ihn Rita ab, während sie an einer riesigen Zigarre zieht. Magnus scheint Rita jedoch irgendwie zu gefallen, und sie setzt ein unerwartetes Lächeln auf.
„Wolln se aufen Kaffee reinkommen, junger Mann? Freu mich immer über gut aussehenden Herrenbesuch.“ „Oh, vielen Dank, aber ich hab noch zu arbeiten. Vielleicht ein andermal,
Frau…“ „Rita, sach einfach Rita, Kleiner.“
Verflixt noch mal, schon wieder Fehlanzeige. Schon eine Woche um und von Donna noch immer keine Spur, denkt
Magnus verzweifelt. Auch im Separee Rouge konnte ihm Angel nicht weiterhelfen. Sie hat Ricarda nur ein einziges Mal gesehen, und das war, als er mit Schnellinger dort war.
Dann hat sie ihn an die Adresse von Narben Paul verwiesen. Magnus hat sich ein paar Tage frei genommen, um mehr Zeit mit der Suche zu verbringen.
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„Silver, was soll ich nur machen?“ Mit einer Flasche Whiskey hat Magnus sich in seinem
Arbeitszimmer verschanzt. „Eine Vermisstenanzeige brauche ich gar nicht erst zu stellen, weil Donna sich ja bei Dani gemeldet hat. Wenn das die Amerikaner spitz kriegen, dass
mir meine Frau abgehauen ist, bin ich draußen, Silver, rauswerfen werden die mich. Sie werden mir die Schuld geben“, jammert er.
„Ach Mensch, jetzt rede
ich auch schon mit dir, na dann Prost, Kumpel. Silver, weißt du was? Ich will meine Donna doch gar nicht hergeben.“ Magnus kommen die Tränen. Er fährt den Bürostuhl vor den
stummen Butler und schüttet Silver ein Glas mit Whiskey ein.
„Ich bin ein Feigling, Silver, ein Feigling und ein Arsch. Streite das nicht ab, Kollege.
Ich bin ein echtes Ekel, ein Tiger ohne Krallen. Tiger, das hat die schöne Ricarda zu mir gesagt.“ Magnus lächelt bei der Erinnerung an Ricardas
Annäherungsversuche.
„Ich hab meinen ganzen Frust an meiner Donna ausgelassen. Warum ist sie sonst weg?“ Magnus Augen sind aufgequollen vom Alkohol und
vom Weinen. Er nickt auf seinem Stuhl ein, als es an der Tür schellt. „He, Magnus. Du bekommst Besuch, es hat geklingelt“, weckt Silver ihn auf.
„Es
schellt? Vielleicht ist sie das.“ Stark schwankend steht Magnus auf, um zu öffnen. „Donna? Bist du das?“ „Wieso Donna, Magnus? Ich bin´s,Schnellinger, dein bester Freund und
Arbeitskollege“, schleimt er sich bei Magnus ein. „Was willst du?“, fragt Magnus abweisend. „Ich mach mir Sorgen um dich.“ „Du?“ „Magnus nimmt wieder einen Schluck aus der
Flasche.
Er lässt Schnellinger in der Tür stehen und stolpert wieder in sein Arbeitszimmer. Schnellinger folgt ihm. „Donna, Donna, bist du da?“, ruft er
durch das Haus. „Magnus, wo ist Donna?“ „Das geht dich einen feuchten Dreck an. Ich habe sie
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entsorgt, die Puppe. Zuerst hab ich Donna in die Klapse gebracht, dann hab ich sie entsorgt, verstehst du, Schnellinger,
umgebracht.“ Magnus hebt noch einmal die Flasche an den Mund und schläft auf dem Stuhl ein.
Fassungslos über Magnus Geständnis geht Schnellinger durch
jeden einzelnen Raum. Er atmet auf, als er nirgendwo Donnas toten Körper findet. In Magnus Arbeitszimmer blättert er ein paar Ordner durch und findet eine Kopie von dem Scheck
über 10000 Euro, ausgestellt auf eine Ricarda Santini. Magnus hat also eine Komplizin, Ricarda vom Golfplatz, kombiniert er. Er wollte seine Frau loswerden, weil er sich für
sie schämt, einfach unfassbar das Ganze.
„Magnus, wie konntest du nur?“ Noch einmal sieht er sich in dem Regal um und nimmt einen der Satellite „Streng
vertraulich“ Ordner heraus. „Pah, dir kann man doch gar nicht mehr trauen.“ Angewidert von Magnus Anblick zückt er sein Handy und wählt die Nummer der Polizei. „Ja, hier
Schnellinger. Ich habe einen Mord zu melden.“
Er berichtet den Beamten, was Magnus ihm gestanden hat. Dann versteckt er den Ordner in seinem Auto und
wartet im Haus auf die Kriminalpolizei.
Ich sitze mit Henk am Strand von Miami Beach. Meine Arme habe ich um die Beine
geschlungen und schaue still und nachdenklich auf das Meer. „Es ist wunderschön hier, Henk, finden sie nicht?“ „Ein schönes Fleckchen Erde, ja, Donna. Noch schöner ist es,
hier mit ihnen zu sein.“ „Ich bin verheiratet, Henk.“ „Und, sind sie glücklich?“ „Im Moment bin ich glücklich. Alles was wir bisher auf dieser Reise gesehen haben, war
unglaublich und einmalig, Henk.“
„Donna, ich mag sie sehr.“ Henk rückt ganz nah an mich heran und legt seinen Arm
um
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meine Hüfte. Ich bekämpfe meinen kurz aufflackernden Fluchttrieb und
lasse es zu, dass Henk mich auf die Schulter küsst. „Henk, haben sie Familie?“, frage ich unvermittelt in die romantische Stimmung hinein. „Geschieden“, antwortet Henk
zwischen zwei leidenschaftlichen Küssen auf mein Ohrläppchen. „Ich weiß nicht, ob es richtig ist, was wir hier tun, Henk“, versuche ich Henk bei der weiteren Erforschung
meiner erogenen Zonen zu stoppen.
„Donna, das Schönste, was es auf der Welt gibt, ist geliebt zu werden, jemanden fühlen zu lassen, du bist für mich
das Größte. Ricarda hat mir von deinen Albträumen erzählt, Donna.“ Henk umfasst jetzt mein Gesicht mit seinen großen Händen und sieht mir fragend in die Augen. „Was musst du
erlebt haben, das dir so zu schaffen macht? Willst du es mir erzählen?“ „Fragst du mich als Mann oder als Seelsorger, Henk?“ Anstatt zu antworten legt Henk mich in den noch
warmen Sand. Ich mache keinerlei Anstalten, mich seinen Zärtlichkeiten zu entziehen, und schon einige Augenblicke später rekeln wir uns nackt am menschenleeren Strand.
Mit geschlossenen Augen genieße ich Henk in mir und seine sanfte Massage meiner Brüste. Ich lasse mich fallen und mich plagt kein schlechtes Gewissen.
„Donna, komm, setz dich auf mich, bitte“, flüstert Henk mir atemlos ins Ohr.
Ich tue, worum Henk mich bittet, und das Schlagen der Engelsflügel in meinem
Bauch nimmt ungeahnte Ausmaße an. Mit abgehackten Worten versuche ich, Henk zu beschreiben, was gerade in mir vorgeht „Henk, ich…“ „Was, Donna? Sag… es“, verlangt Henk von mir
ebenso keuchend wie ich eine Antwort.
Wir bewegen uns dabei im Rhythmus der Wellen, die der Wind an den Strand spült. „Henk, ich habe das schon lange
nicht mehr so erlebt“, stammle ich und beuge mich
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zu ihm hinunter, um
ihn auf den Mund zu küssen. Henk will meine Zunge nicht freigeben und wir fühlen die Begierde des anderen mit allen Sinnen. „Donna, warum finde ich dich erst jetzt? Wo warst
du nur so lange. Bitte bleib bei mir, Donna.“ „Henk, ich bin ja bei dir, ganz nah“, hauche ich berauscht.
Minuten später liege ich erschöpft in Henks
Arm und streiche mit der Hand über seine muskulöse Brust. Die Berührung seiner schweißnassen Haut wirkt erneut erotisierend auf mich. „Und was nun, Henk?“, frage ich in die
Dunkelheit hinein. „Bereust du es, Donna?“ „Oh nein, Henk, ganz sicher nicht.“
„Donna, hat dich dein Mann…ich meine, hat dich dein Mann misshandelt?“
Henk setzt sich auf, um mir in die Augen zu sehen. Behutsam reibt er an meinen Brustwarzen, sodass sie wieder fest werden. „Nein, niemals, Henk.“ „Aber etwas ist doch nicht in
Ordnung bei dir, Donna. Du bist so hungrig nach Liebe, ich spüre das.“
„Ich glaube, Magnus wird einfach nicht mehr schlau aus mir.“ „Das ist es doch
nicht allein, Donna.“ „Warum soll ich dich mit meinen winzigen und unwichtigen Problemen belasten, Henk?“ „Belasten, Donna? Hast du denn nicht gemerkt, dass du mir etwas
bedeutest? Denkst du, ich wollte nur eine…wie sagt man auf Deutsch?“ Henk sucht nach der richtigen Formulierung. „Ah, eine schnelle Nummer mit dir machen?“
Er sieht mich traurig an. „Soll ich lieber deine Freundin fragen, Donna?“ „Ach du Schreck, Ricarda. Ich hab Ricarda vergessen.“ Ich springe auf, um mich anzuziehen.
Doch Henk ist genauso schnell auf den Beinen wie ich, nimmt mir mein Strandkleid aus der Hand und wirft es zu meinem schwarzen Seidenslip in den Sand. Dann presst er seinen
Körper fest an meinen.
Ich hechle wie ein Hund, der kilometerweit neben einem Jogger hergelaufen ist. Henk lächelt
mich
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herausfordernd an. „Nun sag schon. Ich werde dich solange quälen, bis
du mit der Wahrheit herausrückst.“ Ich gebe nach, weil ich Cecilia versprochen habe, um zehn bei ihr in der Bar zu sein, um sie von Johanna, der kleinen kugeligen Frau aus
Sachsen zu erlösen. Johanna ist im gleichen Hotel wie Henk, Cecilia und ich einquartiert und hat sofort an ihr einen Narren gefressen. Während Henk bei den Busausflügen neben
mir sitzen durfte, musste Cecilia mit ihr vorlieb nehmen.
Meine Arme lege ich jetzt um Henk herum und streife mit meinen Händen den feinen Sand von
seinen knackigen Pobacken. „Also gut, Henk.“ Henk wird ernst und küsst mich auf die Stirn. Ich muss zu ihm aufsehen, weil er mich um eine Kopfhöhe
überragt.
„Ja, Henk, ich bin ausgehungert. Ich brauche Zärtlichkeit wie Wasser um zu existieren. Vielleicht erwarte ich im Leben zu viel davon, aber …
aber er kann sie mir nicht geben. Kein Kompliment, Henk, und Frauen wollen Komplimente hören, ernstgemeinte, von Herzen kommende. Das ist keine Frage des Alters. Sie wollen
einen Partner, der sich für sie interessiert, ihnen Aufmerksamkeit schenkt.“
„So wie ich, Donna, stimmt`s?“ „Ja, ganz genau so wie du.“ Henk ist noch
keinen Millimeter von meiner Seite gewichen und ist gerade dabei, mir mit seiner Lust auf Sex den Verstand zu rauben. Dennoch schaffe ich es, ihm zu erklären, was Frauen
wirklich wollen.
„Sie wollen ihm alles sagen können und ihn ebenfalls mit Liebe überschütten. All diese Dinge finde ich bei Magnus nicht mehr. Nicht mal
einen Blumenstrauß hat er mir in den letzten Jahren geschenkt.“ „Donna, aber du liebst Magnus noch, oder?“ „Ich weiß es nicht, Henk.“ „Donna, lass mich dir das geben, was du
brauchst. Ich…ich hab so viel davon.“ „Henk, ich betrüge gerade meinen Ehemann. Du bist Pfarrer. Wie kannst du das dulden?“ „Donna, ich bin auch ein
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Egoist, genau wie dein Mann vielleicht einer ist. Aber ich kann die Gefühl für dich nicht mehr
wegschieben.“ Henks verdrehtes Deutsch lässt mich schmunzeln. „Henk, ich muss jetzt los. Ich habe dir alles gesagt, also lass mich jetzt gehen bitte.“
„Ich will dich anschauen“, flüstert Henk. Ich lasse ihn meinen so gar nicht mehr schlanken Körper betrachten, doch Henk scheint jedes überflüssige Kilo an mir zu mögen. Er
verwöhnt mich mit Küssen, und seine Hände legen mich wieder in den Sand. Die Welt um mich dreht sich, und ich wünsche mir, dass die Zeit stehen bleibt, als Henk sich mit
Hingabe den Innenseiten meiner Oberschenkel widmet. Erst mit einer Stunde Verspätung treffen wir in der Hotelbar ein und gesellen uns zu Cecilia und
Johanna.
„Donna, endlich, ich warte schon…“ „Ja, ich weiß, eine ganze Stunde lang, Ricarda. Tut mir wirklich leid, ich werde es
wieder gutmachen.“ Ich werde rot und schaue verschämt zu Henk hinüber. „Henk, sie haben da ganz viel Sand an den Schuhen“, bemerkt Johanna sofort.
Henk
und ich haben zusammen geduscht, nachdem wir ins Hotel zurückgekommen sind. In der Hektik hat Henk dann vergessen, seine Schuhe abzubürsten. „Oh, ja, wir haben einen
Strandspaziergang gemacht.“ „Im Dunkeln?“, fragt die kleine Sächsin irritiert. „Im Dunkeln ist es am schönsten“, erwidert Henk ungeniert. „Kommen sie, Johanna, tanzen wir
zusammen.“
Begeistert folgt sie ihm für ein paar Minuten auf die Tanzfläche. Henk ist ein überaus geschickter Tänzer. Ich spende ihm von der Bar aus
einen kleinen Applaus, und er strahlt vor Vergnügen. „Donna, ich will alles wissen, und zwar ganz genau, bevor Johanna wieder hier ist“, drängt Cecilia
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mich. „Ihr habt es getan, ich sehe es dir an der Nasenspitze an. Oh, ich freue mich so für dich.“
Unbewusst fasse ich mir an die Nase. „Du siehst es?“ „Donna, du strahlst wie eine werdende Mutter.“ „Ricarda, ich hatte ein Gefühl wie tausend summende Hummeln im Bauch. Ich
glaube…ich glaube, ich hab mich in Henk verliebt.“
„Donna, lass dich umarmen.“ Ich bin wieder erstaunt darüber, wie viel Mitgefühl und Freude eine
Schaufensterpuppe wie Cecilia hervorbringen kann. „Donna, hast du ihm alles gesagt?“ „Was alles, Ricarda?“ „Na, alles über deine Klinikaufenthalte und unser kleines Abenteuer
hier. Du solltest ihm reinen Wein einschenken.“ „Aber dann muss ich ihm auch von dir erzählen, dass du lebst. Er wird mich auch für völlig durchgeknallt halten, Ricarda. Ich
wusste es, ich habe einfach kein Glück mit Männern, alle denken, ich bin verrückt.“
Meine gute Stimmung ist mit einem Mal dahin. „Es kann nicht gutgehen
mit uns, Ricarda. Ich gehe aufs Zimmer. Sag ihm, dass ich müde bin.“ „Gib nicht so schnell auf, Donna. Sag es ihm einfach, entweder glaubt er dir oder nicht. Versuch es doch
wenigstens“, bittet Cecilia mich inständig. Doch bevor Henk und Johanna an die Bar zurückkommen, bin ich schon im Aufzug
verschwunden.
Ich sehe Blumen. Rote Rosen, ich zähle 25 langstielige Baccara mit einem samtenen roten Herzen in der Mitte. Nein,
dieses Mal ist es kein Traum. An dem Strauß hängt ein kleines Kärtchen. „Donna, bleib bei mir bitte“ steht dort handgeschrieben drauf.
Cecilia ist eine
halbe Stunde vor mir zum Frühstück gegangen, weil ich ausschlafen wollte und schiebt jetzt die Vase zur Seite, damit wir uns sehen können. Ich habe schlecht geschlafen und bin
einer Depression nahe. „Er war enttäuscht, dass du einfach
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so gegangen
bist, Donna.“ „Kommt er deshalb nicht zum Frühstück?“, frage ich gereizt. „Er war schon hier.“ „Hast du es ihm gesagt, Ricarda?“ „Sollte ich es denn, Donna?“ „Ich hab ihm die
Laune verdorben, Ricarda, dabei hatten wir eine so wundervolle Zeit. Ich bin eine so blöde Kuh“, ärgere ich mich über mein Verhalten am Abend zuvor.
Ich will gerade mit Cecilia aufs Zimmer gehen, als Henk uns aus dem Aufzug entgegen kommt. „Danke, Henk, für die Blumen“, beeile ich mich zu sagen und probiere ein Lächeln.
Henk erwidert es nicht. Ich muss ihn furchtbar verletzt haben, kann aber keine Entschuldigung über meine Lippen bringen.
„Donna, Daniel hat mich
angerufen. Er hat keine Telefonnummer von dir. Du möchtest ihn bitte umgehend anrufen, es ist wichtig, hat er gesagt.“ Henk reicht mir sein Handy. „Du musst nur noch wählen,
ich hole mir einen Kaffee.“ Henk setzt sich mit seiner Tasse zu Johanna an den Tisch, die gerade ihr Frühstück einnimmt. Cecilia leistet mir beim Telefonieren Gesellschaft und
beobachtet mich aufmerksam.
„Hallo, Daniel, ich bin`s, was gibt es denn so Dringendes?“ Mein Magen beginnt zu rebellieren, und ich hole tief Luft, um
die aufkommende Übelkeit zu bekämpfen. „Unter Mordverdacht? Wen soll er denn umgebracht haben?“, frage ich bestürzt über Daniels Nachricht. „Was? Ach du Schande. Ja, Daniel,
ist gut. Danke für die Information. Ich melde mich bei Dani. Tschüß, Daniel.“ „Donna, was ist los? Wer steht unter Mordverdacht?“ Zum ersten Mal sehe ich Ricarda mit Furcht in
den Augen. „Dein Tiger Magnus, er soll mich ermordet haben.“
„Dieses Schwein Schnellinger hat nur darauf gewartet, Magnus eins
auswischen zu können“, behauptet Cecilia wütend. „Magnus muss es ziemlich schlecht gehen. Er war betrunken, hat Marlene Daniel erzählt. Dann hat er sich plötzlich bei der
Polizei
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wiedergefunden, weil Schnellinger die Kripo verständigt hat.
Ricarda, ich rede jetzt mit Henk, dann werde ich bei der Polizei und Dani anrufen und Magnus entlasten. Auf keinen Fall will ich die Reise abbrechen. Wir ziehen unser Ding
durch. Zu Hause klären wir alles Weitere, Ricarda.“ „Genau so machen wir es, Donna Herzchen. Wir lassen unseren Tiger nicht allein in seinem Elend.“
„Henk, danke für das Handy. Wir müssen reden. Ich will dir was erklären wegen Gestern. Kommst du mit mir zum Strand?“ Henk nimmt mich bei der Hand und
zieht mich zu sich heran. „Donna, ich…ich bin schrecklich verliebt in dich.“ „Hoffentlich auch noch, wenn du die ganze Wahrheit hörst.“ Arm in Arm laufen wir zum Strand und
ich beichte Henk, dem Pfarrer und Liebhaber, meine ganze unglaubliche Geschichte.
„Das ist ja der Hammer“, weiß Henk im ersten
Moment nur zu sagen. Jetzt sitzt er ruhig und in Gedanken versunken mit mir im Sand und versucht meinen Ausführungen zu folgen.
„Cecilia? Ricarda ist
Cecilia? Das ist ein dickes Ding.“ „Henk, glaubst du mir? Ich will kein Mitleid von dir, ich will, dass du mir glaubst, denn das ist meine Wahrheit.“ „Donna, ich…“ „Ich hab´s
gewusst, du hältst mich für verrückt.“ „Nun, ich meine, etwas verrückt hört sich das schon an, Donna.“
„Henk, glaubst du an Gott und Jesus?“ „Das ist
doch was ganz anderes, Donna.“ „Ist es nicht, Henk. Ich kann es dir beweisen, dass Cecilia aus Kunststoff besteht, Gott kann niemand sehen.“ „Okay, wir werden Cecilia bitten,
sich zu verwandeln. Wenn das so ist, gut. Ich bin ja lernfähig. Aber, Donna, wenn du der Polizei das erzählst, wirst du wieder in der Klinik sein, schneller als du schauen
kannst.“
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„Henk, dann gehe ich freiwillig rein und werde wieder gesund.
Cecilia war nie lebendig, nur in meiner Fantasie. Cecilia kann Ricarda bleiben und bei Magnus wohnen. Sie liebt Magnus, musst du wissen.“ „Das hört sich an wie in einem
Psychothriller, Donna.“
„Ich weiß nur nicht, wie mein armes Kind und Magnus darauf reagieren werden, Henk. Henk, gilt dein Angebot noch, dass ich bei
dir bleiben soll?“ Ich habe Angst vor Henks Antwort. „Donna, ich liebe verrückte Frauen, ganz besonders dich, mein Liebling. Komm, ich beweise es dir. Lass uns zum Hotel
zurückgehen. Am Strand sind zu viele Menschen.“
Henk hebt mich vom Boden auf und trägt mich ein Stück, während er mich immer wieder küsst. „Henk, lass
mich runter, was sollen die Leute denken?“, flehe ich ihn an.“ „Sie werden denken, dass wir verrückt sind, wir zwei.“
„Nicht mehr
tragbar, sagen sie, Schnellinger.“ Charles Carrington, der Manager von Satellite am Hauptsitz in Boston hat sich in seinen Chefsessel zurückgelehnt und belauert Schnellinger
auf dem Bildschirm. Er hat sich per Skype direkt an Charles gewandt, mit der Hoffnung, dass er Magnus sofort kündigt.
„Mordverdacht“, sinniert er laut.
„Gibt es Beweise, Schnellinger?“ „Er hat es mir gestanden.“ „Und was hat er der Polizei gesagt?“ „Er streitet die Tat ab, auch dass er eine Komplizin hat. Und dann noch etwas,
Mr. Carrington." Schnellinger hält den "Streng vertraulich" Ordner in die Kamera. „Diesen Ordner habe ich in Feltens unverschlossenem Büro gefunden, mitten auf dem
Schreibtisch, für jeden zugänglich.“
„Ich werde mich mit der Geschäftsführung beraten, Schnellinger. Dann melde ich mich bei ihnen. Magnus Felten war
bisher ein äußert zuverlässiger Mitarbeiter, ich will keine Vorverurteilung, darum
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halten sie sich über diese Sache geschlossen, Schnellinger, verstanden?“ „Aber…“ Schnellinger will noch etwas erwidern, doch
Charles hat schon die Kamera ausgeschaltet. Verfluchter Mist, denkt er. Ich hab es doch schon allen erzählt. Warum schmeißt er ihn nicht sofort raus? Schnellinger ist
ernüchtert nach dem Gespräch mit der obersten Firmenleitung.
Er hat sich schon auf Magnus Stuhl sitzen sehen. Jetzt muss er wohl oder übel die
Ermittlungen der Polizei abwarten.
„Hier, hören sie selbst.“ Dani spielt die Nachricht von Donna auf ihrem Smartphone ab. „Das
war am Anfang des Verschwindens ihrer Mutter, Frau Felten“, gibt Kriminalkommissar Gerber zu bedenken. „Gab es noch weitere Nachrichten?“ „Leider nein, aber mein Vater…mein
Vater hat keinen Grund, meiner Mutter etwas anzutun oder sie entführen und dann…umbringen zu lassen.“
Dani kämpft jetzt mit den Tränen. „Ihr Vater hat
es seinem Kollegen gestanden, und hier bei uns hat er alles abgestritten. Er hat gesagt, ich zitiere Herrn Schnellinger: „Ich habe die Puppe entsorgt, zuerst habe ich Donna in
die Klapse gebracht, dann hab ich sie entsorgt, umgebracht, verstehst du, Schnellinger.“ Dani muss plötzlich lachen und schlägt die Hände vor das Gesicht. „Die Puppe, die
Puppe ist eine Schaufensterpuppe, die meine Mutter umgestaltet hat, und mein Vater hat sie in den Müll geworfen, weil…weil meine Mutter geglaubt hat, dass sie lebt. Deshalb
war sie doch in der Klinik.“
„Eine ziemlich verworrene Geschichte, Frau Felten. Wir können ihren Vater aber leider noch nicht gehen lassen. Das
Schicksal ihrer Mutter ist immer noch ungewiss. Wir können nur hoffen,
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dass sie sich bald meldet oder dass wir sie finden. Dann sind da noch die 10000 Euro, die ihr Vater an eine gewisse Ricarda Santini gezahlt hat. Herr Schnellinger glaubt, dass
sie eine Komplizin ihres Vaters ist, die er für die Ermordung ihrer Mutter bezahlt hat.“
Dani ist jetzt völlig erschüttert. „Von dem Geld weiß ich
nichts, aber Ricarda hat kurzzeitig bei uns als Reinigungskraft gearbeitet.“ „Hat ihnen ihr Vater erzählt, stimmt´s?“ Dani nickt. Ihr Gespräch mit Herrn Gerber wird jetzt
durch einen Anruf unterbrochen.
„Entschuldigen sie einen Moment, Frau Felten. Kriminalkommissar Gerber, Mordkommission Köln“, meldet er sich. „Guten
Tag. Ja, ich höre. Und es geht ihnen gut? Sie sind freiwillig mit dieser Frau gegangen? Aha, sie wollen die Reise nicht unterbrechen. Ich verstehe. Ihr Mann ist unschuldig,
gut. Wenn sie zurück sind, melden sie sich doch bitte bei uns, damit wir die Sache zum Abschluss und zu Protokoll bringen können. Ach, ihre Tochter sitzt mir gerade gegenüber,
ich reiche dann den Hörer an sie weiter. Auf Wiedersehen, Frau Felten, und einen schönen Urlaub wünsche ich ihnen noch.“
„Mami?“ Dani ist nach und nach
klar geworden, wer da am anderen Ende der Leitung ist. „Mami, geht es dir gut?“ „Dani, Dani Schätzchen, alles ist gut. Weine nicht, ich bin bald wieder zu Hause.“ „Ich kann
nicht sprechen, Mami. Ich ruf dich später an, ja?“, schluchzt Dani in den Hörer.
„Also, sie dürfen ihren Vater mitnehmen, Frau Felten. Ihre Mutter,
naja, sie hat sich ein kleines Abenteuer gegönnt. Sie wollte wohl mal eine Auszeit nehmen von ihrem grauen Alltag. Nun, alle anderen Probleme müssen sie privat klären. Unsere
Arbeit ist somit beendet.“ Herr Gerber reicht Dani noch ein Taschentuch und
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verabschiedet sich von ihr. Dann entlässt er sie wieder in Fredis Obhut.
„Ich danke ihnen, Mr. Carrington. Ich bin
froh, dass sich die Sache geklärt hat.“ „Mir geht es ebenso, Mr. Felten. Bitte bereinigen sie schnellstens alle ungeklärten Fragen, die ihre Familie betreffen, damit sie
wieder ins Lot kommen. Sie sollten vielleicht einmal über Schnellingers Mitarbeit nachdenken. Allem Anschein nach will er ihnen ihren Posten abjagen. Also, halten sie die
Augen auf, Mr. Felten, und bringen sie Licht ins Dunkel bezüglich des in ihrem Büro aufgetauchten Ordners. Schnellinger bleibt nach wie vor bei der Behauptung, er hätte ihn in
ihrem Büro gefunden. Nehmen sie frei, bis ihre Frau wieder zurück ist, Magnus, und erholen sie sich von den Strapazen.“
„Hallo
Magnus.“ „Donna, endlich.“ Magnus ist mit den Nerven dermaßen runter, dass ihn sofort ein Weinkrampf schüttelt, als er meine Stimme hört. „Magnus, nicht.“ Ich weiß nicht, was
ich sagen soll. „Geht es wieder, Magnus?“ „Ja, hab mich schon wieder eingekriegt. Donna, ich…Donna, es tut mir Leid, dass ich so ein Idiot war. Ich bin so froh von dir zu
hören. Fast habe ich selber geglaubt, dass du entführt wurdest oder sogar Schlimmeres. Wo bist du jetzt?“
„Wir sind an den Niagarafällen, und es ist
traumhaft hier. Unsere letzte Station ist Philadelphia, dann fahren wir wieder nach New York und fliegen von dort aus zurück nach Frankfurt.“ „Ist Ricarda bei dir?“, möchte
Magnus wissen. „He, du scheinst sie zu mögen, Magnus, oder?“ „Ich glaube, dass sie…dass sie mich nicht ganz so schrecklich findet, wie ich mich benommen habe in den letzten
Jahren.“ Ich habe mir vorgenommen, Magnus nicht im Unklaren über Henk und
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unsere Pläne zu lassen. Darum nehme ich allen Mut zusammen, um ihn schonend darauf vorzubereiten. „Magnus, ich muss dir etwas sagen. Ich habe jemanden kennengelernt und mich
verliebt.“
Ich wartet auf eine Antwort von Magnus. „Ich habe geahnt, dass es zu spät sein könnte, um mich zu bessern. Ich will nicht sagen, dass es mich
nicht trifft, Donna. Danke, dass du so ehrlich bist. Lass uns über alles reden, wenn du wieder hier bist, ja?“ Magnus klingt mitgenommen, aber meine Mitteilung überrascht ihn
nicht einmal so sehr.
„Magnus, wenn du es nicht verkraftest, dann ruf mich bitte an. Wir reden miteinander, ja?“ „Ich werde es überstehen, Donna. Ich
hab ja noch Dani, Fredi und Marlene.“ „Dann grüß meine Mutter bitte von mir, Magnus.“ „Ist gut, mach ich. Und du sag Ricarda, dass sie noch das Geld bei mir abarbeiten muss,
dass sie mir aus dem Kreuz geleiert hat.“
„Gut, ich mach`s, aber nur die obere Hälfte.“ „Seit wann bist du so zurückhaltend,
Cecilia?“ „Na, immerhin ist Henk ein Fremder für mich, ich fühle mich einfach…einfach nackt ohne Kleider.“ „Cecilia, du wirst immer menschlicher.“
„Äh,
Cecilia, du musst es nicht tun, wenn du nicht willst“, versichert Henk ihr. „Ich kann mich ja umdrehen, wenn du das möchtest“, schlägt er ihr vor.“ „Okay, Henk. Donna sagt
dann, wann du herschauen kannst.“
Cecilia legt ihre Perücke ab. Dann zieht sie ihre gesamte Kleidung aus und drapiert sie ordentlich auf dem Stuhl in
unserem Hotelzimmer. „So, Henk. Du kannst dich umdrehen.“ Henks Augen werden größer, als er Cecilia wortlos umrundet. Er reibt sich die Augen, schaut mich eher ungläubig an
und begutachtet Cecilias ungewöhnliche Bemalung. Dann traut er sich endlich, ihren Arm zu berühren. „Kunststoff“, stellt er trocken fest, und klopft
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prüfend an Cecilias Oberschenkel. „Ich hab`s doch gesagt, Henk“, erinnere ich ihn. „Oh, verzeih,
Cecilia, ich wollte nicht…nicht unsittlich werden.“ Genau wie Magnus steht Henk jetzt vor Cecilia und fixiert ihre blauen Augen, die starr geradeaus blicken.“ „Ein
Meisterwerk, Cecilia, du bist wirklich wunderschön.“
„Ich werde sie komplett überstreichen müssen, sie ist nicht ganz zufrieden mit dem Muster, Henk.“
„Nicht…zufrieden? Aber wieso, ich meine, sie ist doch nur eine Schaufensterpuppe, Donna.“ „Henk, bitte dreh dich um, Cecilia möchte sich wieder anziehen.“ „Hat sie das
gesagt“, Donna?“ „Hat sie nicht, Henk, aber ich weiß es.“ „Ach so, dann ist es ja gut.“
Henk macht einen leicht verstörten Eindruck. Er wendet sich ab,
damit Cecilia sich wieder in Ruhe ankleiden kann. „Donna, erlaubst du mir, Henk vom Gegenteil zu überzeugen?“ Ich weiß, was Cecilia damit sagen will und nicke schmunzelnd.
Cecilia steuert auf Henk zu, legt ihre Arme um ihn und küsst Henk so leidenschaftlich auf den Mund, dass ihm die Luft wegbleibt. Mit einem Mal springt
Henk zur Seite. Fassungslos blickt er Cecilia an. Dann setzt er sich zu mir aufs Bett. „Sie hat… sie hat mir in den Schritt gefasst“, stellt er verwirrt fest.
Wir können uns kaum halten vor Lachen und nach anfänglichem Zögern kann auch Henk nicht anders, als Cecilias Überzeugungsarbeit mit Humor
nehmen.
„Cecilia, hast du eine Idee, wie wir zu Hause deine Existenz Magnus, Dani und Marlene erklären sollen? Henk zu
überzeugen, war schon ziemlich schwierig. Im tiefsten Inneren wird er denken, wir haben den Illusionstrick bei David Copperfield abgeschaut. Henk glaubt ebenso wenig an Uri
Gellers Löffel Verbiegen, wie an das Verschwinden der Freiheitsstatur.“ „Aber
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er nimmt dich ernst, Cecilia, auch wenn er immer noch zweifelt. Er liebt dich tatsächlich, Donna. Mein Tiger Magnus hingegen
ist durch und durch Realist. Für ihn gibt es nur Schwarz oder Weiß. Lass uns dabei bleiben, dass wir uns in der Klinik begegnet sind.“
„Cecilia, wirst
du für immer lebendig bleiben?“, möchte ich jetzt von ihr wissen. „Ich werde in beiden Welten leben, Donna. Und du bist inzwischen mit meiner Hilfe von dem Gedanken an meinem
menschlichen Dasein geheilt. So müsste es funktionieren. Kannst du mir einen neuen Anstrich verpassen mit einem hübschen schwarzen Kurzhaarschnitt, bevor ich mit Magnus...na,
du weißt schon.“ „Ehrensache, Cecilia.“ Für einen Moment werde ich sentimental. „Cecilia, ich bin so froh, dich als Freundin zu haben.“ Ich schließe sie in die Arme. „Genug
auf die Tränendrüsen gedrückt, Donna Kleines. Lass uns den letzten Urlaubstag mit Henk genießen. Zu Hause wartet Schnellinger auf seinen unrühmlichen Abschied von Satellite."
„Donna, ich…ich habe es schwer bereut, dass ich Cecilia einfach in die Tonne geworfen habe. Verzeihst du mir meine
Unausstehlichkeit?“ „Magnus, ich bin auch mit daran schuld, dass wir nicht mehr miteinander zurechtgekommen sind. Wir hätten mehr darüber reden sollen.“ „Wirst du gleich zu…zu
deinem Freund ziehen, Donna?“ „Er heißt Henk van der Mole. Henk ist evangelischer Pfarrer in Deutz, also nicht weit von hier. Ich würde gerne noch einige Zeit hier wohnen, bis
wir…bis Henk und ich uns 100 Prozent sicher sind, dass wir zusammen ziehen. Außerdem möchte ich zuerst einen neuen Job finden.“
„Ich werde in Danis
Zimmer ziehen, wenn du möchtest, Donna.“ „Nein, Magnus. Benutz du nur das Schlafzimmer. Ich werde sehr
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viel weg sein.“ „Donna, wo ist Ricarda?“ „Oh, sie hat sich im Pu…ähm, in einem Hotel einquartiert.“ Ich krame in meiner
Handtasche herum und zücke meine Geldbörse. „Das soll ich dir von ihr geben. Das Geld für die Reise, sie möchte für ihre Reisekosten selber aufkommen und dir nichts
schulden.“
„Woher hat sie das Geld, und wie verdient sie ihren Lebensunterhalt?“ „Sie arbeitet als Model und sie pokert gerne.“ „Das hab ich am eigenen
Leib zu spüren bekommen. Sie hat ein Händchen dafür“, antwortet Magnus grinsend. Dann wird Magnus wieder ernst. „Donna, weiß Dani…?“ „Ja, ich hab es ihr am Telefon gesagt. Sie
war sehr geknickt. Morgen fahre ich mit Ricarda zu ihr und rede mit ihr. Wir werden ihr erklären, was es mit dem Geld auf sich hatte und wie Ricarda dich ausgetrickst hat.
Magnus, hier ist die Adresse, wo du Ricarda finden kannst.“
Ich drücke ihm ein Kärtchen in die Hand. „Im Rotlichtviertel? Wieso wohnt sie dort?“ „Sie
hat noch keinen festen Wohnsitz in Köln. Eine Freundin hat ihr das Hotel empfohlen. Es war halt preisgünstig und zentral gelegen. Wie dem auch sei, Magnus, sie ist ganz
vernarrt in dich. Wie steht es mit dir? Willst du sie wiedersehen?“ „Sie hat mich ziemlich geärgert, aber sie ist wirklich reizend. Und ganz schön ausgefuchst. Allerdingst hab
ich noch ein Problem zu lösen, das Schnellinger heißt.“
„Hallo Süßer.“ Schnellinger ist perplex, dass Cecilia sich sofort Zutritt
zu seiner Wohnung verschafft, als er die Tür öffnet. „Rudi, wer ist dort?“ „Was willst du denn hier?“ „Dich besuchen, Schnellinger, was sonst.“ „Rudi, wer ist denn da?“ „Nur
die Post, Mutter. „Deine Mutti, so. Du lebst hier mit deiner Mutti. Welche Frau will dich auch sonst haben, Rudi.“ Cecilia hat sich
eine
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Federboa umgelegt, trägt ihre schwarze Perücke und ein hauchenges
Corsagenkleid. Ihre roten Pumps machen sie fast einen Kopf größer als Schnellinger. „Hallo, Frau Schnellinger, wie geht es ihnen?“, ruft Cecilia zu Rudis Mutter hinauf. „Äh,
gut Danke. Müsste ich sie kennen?“ „Eigentlich nicht, dafür ihr Sohn umso besser.“ „Sind sie seine Freundin? Hatte endlich jemand Mitleid mit ihm?“, scherzt Frau
Schnellinger.
„Genug jetzt, entweder du verschwindest sofort oder ich ruf die Polizei", droht Rudi. „Rudi, hol mich bitte herunter, ich will die Frau
kennenlernen, die auf dich Muttersöhnchen abfährt.“ „Gleich Mutter, ich muss nur noch etwas regeln. Also gut, du wolltest es nicht anders.“
Schnellinger
greift erbost zum Telefon. „Ach, Frau Schnellinger, ich habe da ein paar schöne Fotos von ihrem Jungen und mir. Möchten sie sich die vielleicht mal ansehen?“ „Gerne, sehr
gerne. Wenn Rudi heraufkommt und mir aus dem Bett hilft.“ Schnellinger legt den Hörer auf die Basisstation zurück. „Zeig mir die Fotos, du Biest. Denkst du, ich lass mich
erpressen wie Magnus Felten? Mich kannst du nicht verarschen.“
„Darf ich zu ihnen heraufkommen, Frau Schnellinger?“ „Das wäre sehr freundlich von
ihnen.“ „Also gut, was willst du von mir?“ Schnellinger bekommt plötzlich kalte Füße, und sein Ton wird scharf und leise. Cecilia holt die Fotos aus ihrer falschen Gucci
Tasche und legt sie Rudi auf den Tisch. „Du verfluchtes Miststück, du Nu…“ „Rudi, ich hab dir schon 100 mal gesagt, dass du nicht fluchen sollst." „Einen kleinen Moment noch,
Frau Schnellinger, ich bin gleich bei ihnen. Gib mir den Ordner von Magnus über Satellite.“ „Du weißt davon?“ „Ich habe einen Zeugen, der gesehen hat, dass du ihn mitgehen
lassen hast.“ „Du bluffst, es war niemand sonst im…Scheiße!“ „Danke für deine Aussage,
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Rudi. Mr. Carrington, haben sie alles mitbekommen?“ Cecilia spricht in das winzige Mikrofon einer in ihrer Federboa
versteckten Kamera. „Die Videoübertragung war hervorragend, Ricarda. Ich danke ihnen für ihre Hilfe. Und jetzt zu ihnen, Schnellinger.“ „Mr. Carrington, ich…“ „Sie sind
gefeuert, und ich erwarte eine Entschuldigung bei Mr. Felten von ihnen und eine Klarstellung in der Firma über seine Unschuld. Sonst werde ich sie anzeigen wegen Verleumdung
und Diebstahl.“
„Den Ordner, Rudi.“ Cecilia lächelt Schnellinger zufrieden an. Schnellinger beeilt sich, Magnus Ordner aus dem Schrank zu holen. Ohne
ein weiteres Wort klatscht er ihn Cecilia vor die Füße. „Ich komme nach oben, Frau Schnellinger…“, singt Cecilia schön wie eine Opernsängerin. „Du gehst, verdammt nochmal“,
befiehlt Schnellinger ihr, hebt den Ordner auf und gibt ihn Cecilia in die Hand.
„Auf Wiedersehen, Frau Schnellinger, es ist leider etwas spät,
vielleicht sehen wir uns ein anderes Mal“, tönt Cecilia zur Treppe hinauf. „Wie schade, Rudi, hast du sie rausgeekelt?“ „Mutter…ich.“ „Auf Wiedersehen junge Frau, und lassen
sie mir bitte die Fotos hier.“ „Liegen auf dem Tisch, Frau Schnellinger, ihr Sohn bringt sie ihnen gleich hinauf“, singt Cecilia wieder, dann dreht sie sich auf dem Absatz um
und lässt einen niedergeschmetterten Rudi Schnellinger zurück.
„Du warst großartig, Ricarda. Ich hatte alles auf dem Schirm.“
Magnus hat im Auto auf Cecilia gewartet und auf dem Laptop alles mitverfolgt. Jetzt küsst er Cecilia liebevoll. „Magnus, kannst du mich an Donnas Atelier absetzen? Ich habe
noch etwas Wichtiges mit ihr zu besprechen. „Geheimnisse, Ricarda? Hoffentlich kein Pokerabend?“ „Nein, Magnus. Donna
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muss mich nur für den Laufsteg fit machen. Du brauchst mich nicht abholen. Ich übernachte bei ihr im Atelier. Sie hat dort ein
großes Sofa. Ich ruf dich morgen an, Magnus.“ Cecilia umarmt Magnus. „Ricarda, du…schlaf mit mir, bitte.“ Cecilia bringt Magnus But in Wallung. Lange hat er seine Bedürfnisse
in Sachen Liebe und Sex ignoriert, doch Ricarda hat in ihm ganz neue Gefühle geweckt. „Morgen, mein Tiger Magnus. Wir lassen uns Zeit, viel Zeit. Für dich fängt ein neues
Leben an, ein Leben mit Ricarda.“
„Magnus ist wie umgewandelt, Donna. Er ist sogar charmant. Ich glaube er hat viel nachgedacht
über euch, und…und es fällt ihm nicht leicht, dich gehen zu lassen. Ich werde ihn auf andere Gedanken bringen müssen.“ Während ich Cecilia Hautfarben lackiere, schwärmt sie
unentwegt von Magnus, und meine Gedanken gehen zurück in die Zeit, als er und ich noch ein verliebtes Paar waren.
Cecilia steht stocksteif da, nur ihr
Mundwerk will nicht stillstehen. Ich bekomme noch den Schluss von ihrem Vortrag mit. „Und dann hat er gesagt, Ricarda, bitte schlaf mit mir. Donna, da war ich in ernsthaften
Schwierigkeiten.“ „So, der letzte Strich, Cecilia, jetzt noch die Lippen und die Haare, dann bist du perfekt.“
Cecilia betrachtet sich zufrieden im
Spiegel, den ich für sie mitgebracht habe. „Du musst jetzt nur noch eine Nacht durchtrocknen, dann kannst du Magnus glücklich machen.“
„Ricarda, deine Haut ist samtweich. Der kurze Haarschnitt steht dir sehr gut. Ich bin mir sicher, dass ich dich schon früher mal irgendwo gesehen habe.“ „Magnus, wir
haben uns doch tief in die Augen geschaut, als…“ „Du kleines süßes Biest. Kannst es
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nicht lassen, mich auf den Arm zu nehmen. Komm her zu mir.“ Cecilia schmiegt sich an Magnus. „Du bist eine tolle Frau,
Ricarda.“ Cecilia verführt Magnus nach allen Regeln der Kunst, bis er sie um Gnade für seinen doch nicht mehr ganz so jungen Körper bittet. Jetzt liegen sie bei einander, und
Cecilia betastet jede kleinste Stelle an ihm mit Wonne.
Magnus nutzt die Zeit, um Cecilia von den neuesten Entwicklung im Fall
Schnellinger zu berichten.
„Ricarda, Schnellinger hat sich bei mir entschuldigt. Es muss für ihn ein Spießrutenlauf gewesen sein, seine Gehässigkeit
mir gegenüber bei den Kollegen einzugestehen. Und er hat mir etwas für dich mitgegeben.“ „Für mich, Magnus?“ Cecilia ist überrascht über den Umschlag, den Magnus ihr reicht.
„Eine Einladung, Magnus, zu einem Kaffeetrinken mit Schnellingers Mutter. Sie will mit mir Fotos anschauen, von Rudi.“
„Donna, du machst große Fortschritte.“ „Henk, erkennst du´s? Du und ich am Strand, an den Niagarafällen und in New York mit Cecilia und Johanna.“ „ Ein
bisschen abstrakt, aber offensichtlich.“ „ Henk, wir hatten viel Glück, dass wir dieses kleine Atelier anmieten konnten. Das sind ideale Bedingungen für das Studium.“
„Geht es dir gut, Donna?“ „So gut wie lange nicht, Henk. Ich habe keine Albträume mehr. “ Henk legt seine Arme um meinen Bauch und seine Hände wandern
unter mein T-Shirt. „Henk, nicht, jetzt hab ich mich vermalt“, beschwere ich mich lachend. „Du musst sowieso eine Pause machen.“
Die Engelsflügel in
meinem Bauch machen sich wieder bemerkbar. Ich knipse ein Auge in Silvers Richtung, den ich als Ersatz für
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Cecilia in mein Atelier zu Henk mitgenommen habe. Ich erkenne ein leichtes Schmunzeln in Silvers Mundwinkel. Er schließt die
Augen, legt seinen Zeigefinger auf den Mund, um sich dann zum Schluß beide Ohren zuzuhalten, als Henk mich auf seinen großen sanften Händen zum Sofa trägt.
Ende