Strapse mit Hindernissen
Die Küche sieht aus, als hätte dort ein Tornado gewütet. Die Vorbereitungen
für die Party, die heute Abend stattfinden soll, sind in vollem Gange. Es gibt viele Hausfrauenpartys, die man so im Laufe der Jahre mitmacht, von der Tupperparty angefangen,
bis hin zu Putzmitteln, Schmuck, Töpfen und Kosmetikartikeln. Man lädt so viele Freundinnen wie möglich ein und hat einen lustigen Abend, eine geplünderte Haushaltskasse und
oft sehr viel unnützes Zeug in den Schränken.
Heute jedoch wird es vor Erotik nur so knistern, denn sie richtet eine Dessousparty aus, eine Premiere für
alle, die daran teilnehmen werden. Dafür bedurfte es jedoch noch ein wenig Planung im Vorfeld. Der Ehemann muss sich eine Ausweichmöglichkeit für die Zeit suchen, denn Herren
sind hier nicht erwünscht. Die Tochter ist noch zu jung, um dabei zu sein und soll bei einer Nachbarin bleiben, damit sich die Damen ungeniert den Anproben der schönen
Unterwäsche widmen können.
Mit einigen dekorativ zurecht gemachten Schnittchentellern möchte sie ihren Besuch bewirten, etwas Wein ausschenken, um die
Stimmung ein bisschen aufzulockern und die Kauflaune zu steigern. Je mehr umgesetzt wird, umso besser ist es für die Gastgeberin, denn diese erhält ein Geschenk, dessen Wert
sich nach dem Umsatz dieses Abends richtet.
Mit der Brotmaschine schneidet sie einige Scheiben ab, als es passiert. Der Schmerz ist kurz, aber heftig,
und noch bevor sie richtig registriert, was geschehen Ist, tropft auch schon das Blut fleißig von ihrem angeschnittenen Daumen herunter. Warum hat sie nur den Abstandhalter
vergessen, der als Schutz vor Verletzungen dienen soll? Die Maschine ist neu und das Messer so scharf, wie ein neues Messer eben sein muss.
Reflexartig
läuft sie zur Küchenspüle, damit sich die rote Flüssigkeit nicht auf dem Fußboden oder auf dem Brot verteilt. Der Blutstrom ist ziemlich stark, und sie braucht jetzt erst
einmal Hilfe. „Hallo, kann mal jemand in die Küche kommen und ein Pflaster mitbringen?“
Ihr Rufen wird tatsächlich sofort gehört und schon erscheinen
Tochter und Mann in der Küche mit einem Streifen Pflaster. Das hat ihr gerade noch gefehlt, in ein paar Minuten treffen die Mädels ein und sie schneidet sich den halben Daumen
ab, jedenfalls tropft es so aus der Wunde heraus. Ihre Helfer schütteln angesichts ihrer Ungeschicklichkeit den Kopf. Es dauert eine Weile, bis die richtigen Maßnahmen
getroffen sind, denn mit einem Pflaster ist es hier nicht getan.
Gerade als die Blutung provisorisch gestoppt wird, klingelt es schon, und ihre Freundin
Ela steht vor der Tür. Nach einer kurzen Beratung beschließen sie, dass Ela mit ihr zum Krankenhaus fährt, um den jetzt doch sehr schmerzenden Schnitt nähen zu lassen. Tochter
und Ehemann sollen derweil die Gäste empfangen, die Party wird auf jeden Fall stattfinden.
In der Ambulanz müssen sie nicht lange warten, weil Ela hier
arbeitet und bevorzugt behandelt wird, in diesem Fall der verletzte Pechvogel. „Ach herrje, was sage ich denn, wenn der Arzt fragt, wie das passiert ist?“ „ Naja, er braucht
ja nicht alles erfahren“, sagt Ela.
Der Mann in Weiß, der die Wunde versorgt, erwidert nichts darauf, als sie ihm die ganze Wahrheit sagt, denn lügen
liegt ihr nicht. Er scheint allerdings irgendwie amüsiert seine Arbeit zu machen, und sie rechnet es ihm hoch an, dass er nicht laut loslacht.
Mit einer
großen Schiene und einem dicken Verband an der Hand fährt ihre Freundin sie wieder nach Hause, und sie treffen auf eine schon recht angeregt plaudernde Damenrunde. Sie begrüßt
ihre Gäste und die junge Frau mit den edlen Wäschestücken, die gut sichtbar schon auf dem Wohnzimmertisch verteilt liegen.
Ihr Mann wirkt ein wenig
gestresst bei einer so geballten Ladung Feminismus, lotst sie in die Küche und erzählt ihr kurz, wie entsetzt ihn die Dame mit den Dessous angestarrt hat, als er ihr die Tür
öffnete. Sie kaufte ihm seine Schilderung ab, als sie sah, dass auch die Tochter noch anwesend war. Dann tauchten so nach und nach die Frauen auf, und die Beraterin entspannte
sich langsam.
So, jetzt noch die schon geschmierten Schnittchen auf den Tisch, die Familie vor die Tür setzten und die Party kann starten. Mit der
Schiene am Finger ist es jedoch sehr kompliziert, etwas anzuziehen, geschweige denn Strümpfe an Strapsen zu befestigen. Aber mit Ela`s Hilfe ist auch das kein Problem.
Es wird dann doch noch ein schöner Abend, wenn er auch etwas blutig und schmerzhaft begann. Alle Gäste finden für sich einige hübsche leichte
Kleidungsstücke. Die Bestellzettel sind voll von Strümpfen, Bodys und Negligees. Die Beraterin ist zufrieden, und diese Party wird ihr wohl immer im Gedächtnis
bleiben.
Die Familie und die Gäste werden sicher noch lange von diesem Abend reden, von ihrem kleinen Unfall und von den Strapsen mit Hindernissen.